„Keiner will sterben. Das ist doch klar. Wozu sind denn dann Kriege da? Herr Präsident, du bist doch einer von diesen Herren. Du musst das doch wissen, kannst du mir das mal erklären?“ So beginnt das wahrscheinlich wichtigste Lied von Panik-Rocker Udo Lindenberg, das er vor über vierzig Jahren schrieb, nachdem die sowjetische Armee in Afghanistan einmarschiert war, Ost und West aufrüsteten und sich der Kalte Krieg zu einem Weltkrieg auszuwachsen drohte. 300.000 Menschen demonstrierten damals in Bonn für den Frieden. Das Lied, von überheblichen Kritikern als schmalzige Kitschballade und Anti-Kriegsschnulze abgetan, avancierte zu einer Deutschland weiten Friedenshymne und ist seit dem Einmarsch der Russen in der Ukraine aktueller denn je. Denn noch immer finden wir keine Antwort auf die Frage: “Wozu sind denn Kriege da?”
Gesungen hat das Lied Udo Lindenberg gemeinsam mit einem zehnjährigen Buben, der mit seinem dunkelbraunen Pilzkopf aussah, so wie ich mir den jungen Paul McCartney vorstelle, Pascal Kravetz. Die eingängige Melodie, die einfache Klavierbegleitung, die helle, unschuldige Kinderstimme, die fragt: “Wozu sind Kriege da?” trafen damals wie heute den Nerv der Menschen. Die Anzahl der Klicks auf dem 1995 auf Youtube eingestellten Video kletterte in den letzten Tagen auf fast eineinhalb Millionen.
Sein musikalisches Talent wurde Pascal schon in die Wiege gelegt. Vater Jean-Jacques Kravetz, ein gebürtiger Pariser und ehemaliger Keyboarder von Michel Polnareff, kam 1967 nach Hamburg und ist seit 1975 im Panik-Orchester von Udo Lindenberg und in der Peter-Maffay-Band im Einsatz. Kravetz jun. trat in Papas Fußstapfen und stieg mit 18 Jahren bei Maffay ein, wo er noch heute Keyboard spielt. Außerdem ist er als Musikproduzent und Songwriter tätig. Gastauftritte bei Musiklegenden wie Bruce Springsteen und Joe Cocker geben seiner Karriere einen besonderen Glanz.
“Wozu sind Kriege da?” fragte Pascal Kravetz noch einmal als Erwachsener, als er 2017 mit Udo Lindenberg auf der Bühne stand. Seinen Part übernahm der Kinderchor “Kids on stage”. Elf Jahre zuvor hatte Lindenberg das Lied auch mit der US-amerikanischen Protestsängerin und Friedensaktivistin Joan Baez gesungen (zu hören auf der CD “Damenwahl”). Baez erhob in den 1960er Jahren gegen den Vietnamkrieg ihre Stimme und war beim Woodstock-Festival dabei.
Eines ihrer bekanntesten Songs ist “Where have all the flowers gone”, den ihr Landsmann, der Singer-Songwriter Pete Seeger, schrieb. Angeblich hat er sich dazu auf einem Flug nach Ohio von einem ukrainischen Volkslied inspirieren lassen. Der Textdichter Max Colpet machte in der deutschen Übersetzung “Sag mir, wo die Blumen sind” daraus. In der Interpretation von Marlene Dietrich wurde das Anti-Kriegslied weltweit bekannt und ist bis heute unvergessen.
Es endet mit der Zeile: „Sag, wo die Soldaten sind? Über Gräber weht der Wind. Wann wird man je verstehen? Wann wird man je verstehen?“
© 2022-03-04