von Irene Werren
Sie sieht ihn erwartungsvoll an. „Was meinst du damit, sie war nicht allein?“
Er trinkt einen Schluck Wein und stellt sein Glas vorsichtig ab.
„Sie hatte ihre Freundin mit dabei. Diese hat sie dazu überredet, mir zu schreiben. Das war ihr derart peinlich, dass sie lieber den Kontakt abbrechen und gehen wollte.“ Er zuckte mit den Schultern. „Schade, aber ja, ich kann es gut nachvollziehen. Wir haben etwas zusammen getrunken, das war’s aber auch schon. Seltsam“, sinniert er weiter, „wie ungleich Wunsch und Wirklichkeit sind, nämlich wie zwei Paar verschiedene Schuhe. Das hätte ich nicht erwartet. Ich bin ja auch gar nicht geübt in diesen Sachen. Ich hab zum ersten Mal ein Profil auf einer dieser zahlreichen Plattformen erstellt.“ Er lächelt sie verschmitzt an.
„Und dann hab ich ein solches Glück, dich kennenzulernen, und das wegen eines Espresso Martini. Ich war zur rechten Zeit am rechten Ort.“ Sie lächelt zurück und spürt wieder tausend Schmetterlinge in ihrem Bauch flattern.
„Wie ist es mit dir? Bist du schon oft zu einem Blind Date gegangen? „, fragt er.
Sie muss nicht lange überlegen. „Nein, es ist erst mein zweites Mal. Und ehrlich gesagt, braucht es schon richtig viel Mut, sich auf so ein Treffen einzulassen, finde ich. Man weiß ja nie, auf wen man trifft. Heute aber“, sie zwinkert mit dem linken Auge,“ hab ich jemand Liebenswertes kennengelernt, aber“, fährt sie verlegen errötend fort, „der Abend verlief ja zuerst auch ganz anders, als ich es mir gewünscht hätte.“-„Wie denn?“, fragt er nach.
Sie zögert einen Moment. Wie viel soll sie denn nun von dieser peinlichen Geschichte erzählen? Am besten gar nichts. „Der Mann, dem ich über vier Wochen lang geschrieben habe, erschien heute Abend nicht, bzw. er schrieb mir später, er sei da gewesen und wieder gegangen, weil ich nicht gekommen sei. Das hat mich sehr enttäuscht, „ihre Stimme wird zittrig und unsicher, „Ich konnte das kaum fassen.“ Hier unterbricht sie sich und nimmt einen großen Schluck Wein, um sich etwas abzulenken. „Ist es nicht seltsam, wie vertrauensvoll man sich jemandem völlig Unbekanntem öffnet, ohne zu wissen, wer eigentlich am anderen Ende der Leitung ist? Ich hab ihm wohl zu viel von mir erzählt, das ist mir jetzt ziemlich peinlich.“ Er legt seine warme Hand tröstend auf ihre und nähert sein Gesicht dem ihren. Sie hält atemlos still, schließt die Augen. Gleich wird er sie küssen!
Da hört sie leichte Schritte auf sich zukommen. Sie öffnet die Augen und sieht Nina auf sich zukommen. Nina hat sie ja komplett vergessen!
Sie setzt zu einer Erklärung an, aber Nina kommt ihr zuvor, ihr Blick wechselt ungläubig zwischen den beiden hin und her:
„Paps, was machst denn du da?“
© Irene Werren 2025-06-10