Xaver

Andrea Fehringer

von Andrea Fehringer

Story

Costa Rica, dachte sie. Sie dachte es seit drei Jahren. Irgendwann würde sie ihre Freundin besuchen, irgendwann, wenn Xaver nicht mehr hier war. Xaver war ihr Hund, eine serbische Straßenmischung, weiß mit grauen und braunen Flecken, über dem rechten Auge war sein Fell braun, ein sehr seidiges Fell, in das sie sich vergraben konnte, wenn es ihr schlecht ging oder gut oder irgendwas dazwischen. Seit drei Monaten war er nun schon nicht mehr hier. Costa Rica, dachte sie also und klappte den Koffer zu. Irgendwann war jetzt.

Sie fühlte sich sofort daheim in Katas Haus. Es hatte nicht viele Mauern, drei der vier Wände bestanden aus einer raffinierten Aufhängetechnik klappbarer Holzteile, die in einer Schiene befestigt und immer offen waren. Im Trockenwald an der Pazifikküste braucht man keine Wände, zumindest nicht im Mai, wo die Regenzeit erst beginnt. »Es schüttet vielleicht ein, zwei Mal in der Woche«, hatte Kata gesagt. Das eine Mal war bei der Ankunft.

Das zweite Mal war tags darauf. Macht nichts, dachte sie und ging mit Katas Hunden an den Strand. Sie beobachtete die beiden, die bis zum Bauch regungslos im Wasser standen und hineinstarrten, als ließen sich die Fische mit Blicken fangen. Xaver war nie gern im Wasser gewesen, dachte sie. Sie wischte eine Träne weg, noch bevor sie ihr über die Wange laufen konnte. Es begann zu regnen, der Himmel nahm ihr das Weinen ab.

Es regnete am dritten Tag und am vierten, es regnete in den Nächten, in der ersten Woche, in der zweiten, es regnete mit einem Eifer, der sich gewaschen hatte. Sie sah in den trotziggrauen Himmel hinauf und nickte ihm zu.

Es gab nicht viel zu tun bei dem Wetter. Sie machte sich über das Regal her, in dem Katas Gäste ihren Lesestoff zurückgelassen hatten, und wanderte von einer Hängematte zur anderen. Wenn der Himmel einmal trocken blieb, ging sie mit den Hunden an den Strand. Ab und zu traf sie einen der wenigen Touristen, die noch auf Sonne hofften, man lächelte einander zu, wird schon, den Tapferen gehört das Meer, ist ja auch so schön.

Und es war schön, schön auf seine Art. Drei Wochen lang regnete es fast ununterbrochen, es war, als hätte der Himmel ein Leck. Jeder Weg wurde zur Expedition. Auch nur zum Supermarkt zu gehen, war eine Dschungelwanderung. Es war aufregend, jedenfalls einmal etwas anderes, etwas ganz anderes. Dafür war sie hergeflogen, an diesen üblicherweise türkisen Ozean, wo die Sonne ihre Traurigkeit schmelzen sollte. Der Himmel hatte einen anderen Plan für sie. Wenn es jemanden zu beweinen gab, beweinte man ihn, da war sie pragmatisch, die Natur, und sie zeigte es ihr, unmissverständlich.

Andere kamen zum Surfen her, nahmen an einem Yogacamp teil oder hatten ein Haus hier wie Giselle Bündchen, die auch gerade hier war und irgendein Familienfest feierte. Alle unter demselben Himmel, dachte sie, und für jeden regnete es aus einem anderen Grund. Mein Grund heißt Xaver.

© Andrea Fehringer 2019-05-29