von Valentina Weiss
Unter dem Eiffelturm hatte sich vieles verändert. Leute erkannten Kokou, kamen auf ihn zu. Manche wollten mit ihm reden, andere boten ihm eine Zigarette an. Der Herbst verfärbte die Blätter in viele verschiedene bunte Farben. Von Orange über Ocker zu Gelb und Braun war alles dabei. Kokou war nie aufgefallen wie schön es war, wenn der Herbst einen Baum und die Stadt mit so vielen bunten Tupfern übersäte. Manchmal blieb er länger draußen und genoss die Gesellschaft neuer Bekanntschaften oder ließ sich zu einem Getränk im Park überreden. Er lernte sogar jemanden kennen, der auch aus Togo kam und dessen Name ebenfalls Kokou war. Kokou wollte nicht erzählen, dass er eigentlich Noel hieß, dieses Geheimnis hatte er in Togo gelassen. Gemeinsam redeten sie über alte Erinnerungen und Kokou spürte einen Schmerz bei dem Gedanken daran.
Doch es sollte nicht lange dauern, bis Kokou eine Nachricht ereilte, die ihn wieder zurück auf den grauen Boden holte. Seine Mutter, die als Schneiderin ihr Bestes gab, um die Familie über Wasser zu halten, hatte schon in den letzten Nachrichten über die nachlassende Auftragslage geklagt. Doch über die Monate wurde es nicht besser und das Schulgeld für Dela riss monatlich den größten Betrag ab. In ihrer Nachricht schrieb Kokous Mutter über die finanziellen Sorgen und die Schwierigkeit, mit der sie die Entscheidung treffen musste, dass sie Dela ab nächsten Monat nicht mehr in die Schule schicken konnte. Die Zehnjährige müsse in Zukunft auf dem Markt mitarbeiten und im Haushalt helfen. Es war eine unfaire Entscheidung, bei der es keine Gewinner geben konnte.
Obwohl Kokou die Nachricht in geschriebener Form erhielt, konnte er das traurige Gesicht seiner Mutter vor sich sehen. Es war ihr immer so wichtig gewesen, Dela in die Schule zu schicken. Sie war so ein schlaues Mädchen, lernte so gerne. Die Hoffnung der Familie, die auf den Schultern des kleinen Mädchens lastete, war groß. Auch Kokou wollte seine kleine Schwester lieber in der Schule sehen. Wann immer er konnte, schickte er Bücher nach Hause, denn die waren in Togo nicht leicht zu bekommen. In Paris jedoch lagen sie achtlos auf der Straße herum. In guten Wochen schickte er sogar etwas Geld in seine Heimat. Ja, auf Kokous Schultern lastete so einiges. Er, der nach Europa gegangen war, um dort das große Glück zu finden, eine gute Arbeit, die die ganze Familie ernähren konnte und die Nachbarn am besten auch noch. Doch so einen Job gab es hier nicht für Kokou. Nicht ohne gültige Papiere. Er legte das Gesicht auf seine Hände. Er fühlte sich so machtlos, eine Enttäuschung für die Familie. Ohne Schule hatte Dela keine Chance. Was sollte er nur tun?
© Valentina Weiss 2021-08-14