von Daniela Neuwirth
„Gut, senden Sie mir Ihr Werk, damit ich es ansehen kann, die Zeit drängt“, weist er sie an. „Ja, mache ich natürlich sofort.“ Sie lächelt ganz normal devot in seine Richtung und nickt, so wie er es von ihr gewohnt ist. Als er die Tür zu seinem großen Büro schließt, schleicht sie zum Kollegen. „Hey!“, flüstert sie, als sie das Gesicht durch den schmalen Türspalt steckt. „Hallo! Hörst Du mir zu? Wie kann ich einen Artikel codieren?“ Er packt seine privaten Dinge vom Tisch und guckt hoch hinterm Bildschirm. „Gar nicht.“
„Es muss einen Weg geben, den Text zu verschlüsseln. Ich will nicht, dass der heute gedruckt wird.“ Er schüttelt den Kopf, hebt die Schultern hoch: „Ob heute, morgen oder einen anderen Tag – was macht das für einen Unterschied?“, fragt er lapidar nach und hat sich wohl die Tatsache der Drohung mit der Freude über die geplante Ausfahrt mit seiner Angebeteten schön gedacht. „Ja, egal, ich will es gar nicht darauf ankommen lassen. Das soll am besten gar nicht erscheinen, oder?“
Der Kollege zieht den Zipp an der Oberseite seines Rucksacks zu, den er üblicherweise am Rücken trägt, weil er mit dem Rad zur Arbeit fährt. „Wenn Du etwas eingetippt hast, wird dies gespeichert. Wenn Du es loswerden willst, müsstest Du es löschen, den Papierkorb leeren. Dann kannst Du aber gleich Deine Sachen zusammenpacken und Deinen Arbeitsplatz räumen“, malt er ihr den Teufel an die Wand.
„Mach, was Du willst. Ich sehe ja, ob Du morgen noch da bist oder nicht. Wir hören uns so oder so. Danke für den Wagen.“ Er grinst und eilt an ihr vorbei. „Ja, gern. Wenn Du tankst, dann Benzin bitte!“, ruft sie ihm nach. Sie zieht eine Kopie auf den USB-Stick, lässt diesen in die Handtasche an der Schulter verschwinden, doch versperrt ihre Notizen in der Tischlade. „Er wird sich wohl nicht so aufregen, dass er auf seine beste Arbeitskraft verzichten will. Die Seiten kann er auch mit den üblichen Lückenfüllern voll bekommen.“
Sie ist zuversichtlich, dass er damit klarkommen wird, löscht den Text aus dem Programm und verlässt flink ohne Abschiedsgruß die Büroräume eilig in das obere Stockwerk. So etwas kam, solange sie zurückdenken kann, noch nie vor. „Wie wird er reagieren?“ Sie stellt ihr Handy auf lautlos, um nicht schwach zu werden.
Einige Münzen klimpern durch den Einwurf am Getränkeautomaten im Foyer, was nach Drücken bestimmter Tasten dazu führt, dass in den Auswurf drei kleine Getränkeflaschen purzeln. „Wenn schon Prosecco, dann mit Fruchtsäften gemischt. Ich hoffe, sie hat Eiswürfel im Kühlfach.“ Nachdem sie die Geschäftsetagen verlassen hat, fühlt sie sich ein bisschen besser und will die ganze Aufregung, die der Tag mit sich brachte, hinter sich lassen.
Dies gelingt nicht ganz, wie sie möchte, denn ein Polizist folgt ihr bis zur Wohnungstür der Bekannten im Obergeschoss. Obwohl sie froh ist, über die Anordnung Inspektor Haeskes fühlt sich dies trotzdem unwohl an. „Wollen Sie nun hier stehenbleiben?“ Er blickt sie kritisch an. „Wollen?“, wiederholt er.
© Daniela Neuwirth 2022-10-12