Yoga fĂĽr Leseratten

Sabrina Farkas

von Sabrina Farkas

Story

„Savasana – die Entspannung in RĂĽckenlage am Ende der Stunde – ist wie das Innehalten nach einem guten Buch“, sagte meine Yogalehrerin heute. Als begeisterte Leserin und leidenschaftliche Schreiberin sprach mich der Vergleich sofort an. Ob Tanz oder Yoga, wenn ich unterrichte, erzähle ich auch eine Geschichte. Ich habe daher den Gedanken weitergesponnen und wĂĽrde sagen, eine gute Yogastunde ist wie ein gutes Buch …

Auf den ersten Blick sieht man bei beiden nur die äußere Hülle. Wie lautet der Titel? Um welches Genre, welchen Stil handelt es sich? Mag ich den Autor, respektive den Lehrer/die Lehrerin? Wie ist die Aufmachung gestaltet?

Wer beschließt, das Buch aus dem Regal zu nehmen oder, sinngemäß, den Yogaraum zu betreten, sucht sich erst einmal den richtigen Platz aus. Die Matte wird ausgerollt, die Kuscheldecke in Griffweite platziert. Gespannt nimmt man eine bequeme Sitzhaltung ein.

Wird das Buch dann zum ersten Mal aufgeschlagen, erhält man meist eine kurze Inhaltsangabe. Was ist das Thema? Worum wird es hier gehen? Die Vorfreude wächst.

Langsam steigt man in die Geschichte ein. Schrittweise lernt man die handelnden Charaktere kennen. Mit manchen von ihnen wird man schnell warm – im Yoga sind das meine tierischen Freunde Katze, Kuh und Hund. Mit anderen freundet man sich vielleicht erst im Laufe der Zeit an oder lernt zumindest, zu akzeptieren, dass auch sie zum groĂźen Ganzen gehören. (Ja, Kuhgesicht und Lotus, euch meine ich.)

Die Geschichte zieht einen in ihren Bann. Man vergisst Raum und Zeit und fließt immer weiter, durch die Seiten oder Asanas. Willkommen im Flow! Der Weg zeichnet sich dabei zunehmend klarer ab. Doch wird er zum erwarteten Höhepunkt führen? Die Spannung steigt. Überraschende Wendungen sind in einem guten Buch ebenso geschickt gestreut wie in einer Yogastunde.

SchlieĂźlich kommt der groĂźe Knall. Sei es die Peak-Pose oder der fertige Flow, die Katze ist nun aus dem Sack.

Danach kehrt allmählich Ruhe ein. Die Handlungsstränge werden nacheinander aufgelöst. Die wichtigsten Charaktere verabschieden sich bei ihrem letzten Auftritt wie gute, alte Freunde.

Schließlich ist die Geschichte fertig erzählt. Man klappt das Buch zu und hält noch kurz inne. Oder begibt sich in Savasana und lässt die Praxis nachwirken.

Doch die Stimmung des Buches oder der Yogaklasse begleiten einen noch darĂĽber hinaus. Man nimmt sie mit, hinaus in den Alltag. Vielleicht tauscht man sich im Anschluss mit Personen aus, die dasselbe erlebt haben.

Und schließlich wächst von innen heraus ein immer stärker werdendes Bedürfnis nach einem neuen Erlebnis dieser Art. Dann ist es Zeit, in eine neue Geschichte einzutauchen.

© Sabrina Farkas 2021-10-28

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