You don’t bring me Flowers

JanGroenhain

von JanGroenhain

Story

Olympiahalle München, September 2017. Das nicht ganz jugendliche Publikum ist erwartungsvoll. Der alte Mann betritt die Bühne, nicht mehr so elastisch wie früher. Aber die volle Halle erhebt sich und bereitet ihm einen frenetischen Empfang. Er wird geliebt, immer noch. Augenblicklich ist die Stimmung fröhlich und beschwingt.

Er feiert sein 50jähriges Bühnenjubiläum mit einer Best Of World Tour. Seit über 40 Jahren hab` ich ihn im Ohr, wie einen treuen Begleiter. Er ist eine lebende Legende. Darum wollten wir ihn live erleben, zum ersten und vermutlich letzten Mal. Denn singen, das kann er noch immer. Auf seine unglaubliche und einprägsame Stimme kann er sich verlassen.

Alle Songs dieses Abends sind irgendwie bekannt und wirken keinesfalls verstaubt, der Swing geht leichtfüßig ins Ohr und in die Beine. „Song, sung, blue“. „I`m a believer“, ein frühes Liebeslied, lang ist’s her. Oder „Cracklin` Rosie“, die Geschichte eines Indianers, der den Samstagabend einsam mit einer Flasche Wein verbringt.

Als Sohn polnisch russischer Einwanderer kam er in New York zur Welt. Die Gitarre war früh der Begleiter seiner Kindheit, ebenso wie die Freundschaft mit Barbra Streisand, mit der er gemeinsam die Highschool besuchte. Als Hommage sangen sie 1977 das grandiose Duett „You don’t bring me flowers“, die bittersüße Geschichte einer lang vergangenen Liebe.

Es fällt schwer, auf den Stühlen ruhig zu bleiben. Viele Oberkörper im Saal bewegen sich rhythmisch hin und her. Die 12köpfige, schon etwas angegraute orchestrale Begleitung mit Saxofonen und Trompeten spielt routiniert und hat den Swing echt drauf.

In den 1970ern verlieh er der Möwe Jonathan Flügel und begleitete sie durch die Lüfte. Die wollte nämlich anders fliegen als ihre Artgenossen und das Fliegen zur akrobatischen Kunst, zum Lebenszweck erheben. Bei „Lonely looking sky“ oder „Skybird“ fühlt man sich wie ein Segler in den Lüften.

Auf der Videowall erscheint immer wieder ein Diamant. Nomen est omen. Seine Melodien klingen spielerisch und unvergänglich. “Pretty Amazing Grace“. Einer meiner Lieblingssongs. Der geht ins Herz. „Red Red Wine“ wurde von UB40 gecovert und klang dann wie original Reggae. Seine Songs untermalten viele Filme.

Bei den Zugaben folgt das unvermeidliche „Sweet Caroline“. Es war sein erster Nummer 1 Song. Es geht darin um ein junges Mädchen am Cover des Time Magazine, das ihren Vater verloren hatte. Irgendwann wurde es bei Sportveranstaltungen gespielt und ist heute populär bis in die Bierzelte. Die Halle singt und feiert. Wie bei einem Freundschaftsfest.

Seine Musik begleitete uns durch die Jahre wie ein verlässlicher Freund. Auch an diesem Abend. Nach mehr als 2 Stunden verlassen wir beschwingt und gleichzeitig sentimental den Saal. Meine Partnerin hat am nächsten Tag Geburtstag. Es gibt keine Diamanten, aber musikalische Blumen.

Neil Diamond wurde heuer 80 Jahre alt. Singen kann er nicht mehr, dank Parkinson. Aber seine Songs, die bleiben.

© JanGroenhain 2021-04-18

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