Zahnphilosophie

Anna Geier

von Anna Geier

Story

Ein steiler Zahn. Das ist umgangssprachlich, salopp, irgendwie ein veralteter Ausdruck für eine abgefahrene Person. „Was bist du für ein steiler Zahn?“, fragte man manchmal jemanden, der etwas auffälliger war. Es kam fast einer Adelung gleich.

Jemandem einen Zahn ziehen müssen. Das ist eine Redensart, wo eine fest verwurzelte Vorstellung mit einem tief eingewachsenen Zahn verglichen wurde und die Entfernung dessen eine schmerzhafte Prozedur ist.

Das reicht für einen hohlen Zahn. Wenn es zu wenig Essen gibt, wenn einer noch immer Hunger hat und noch deutlich mehr möchte. Da ist doch ein treffender Vergleich.

Einen Zahn zulegen. Wenn du das erreichen willst, musst du dich aber wirklich anstrengen, kontinuierlich daran arbeiten, schneller und besser werden.

Jemanden einen Zahn ziehen bedeutet doch ihm die Illusion, die Hoffnungen und Wunschvorstellungen zu nehmen. Einer Sache den Zahn ziehen heißt, die Schwierigkeiten beseitigen, damit es weitergehen kann.

Zähne machen immer wieder Probleme. Unser Körper legt Erfahrungen, Ereignisse in bestimmten Regionen ab. Manchmal werden sie zu Krankheiten, zu Verspannungen oder führen zu Schmerzattacken. Alte Verwundungen müssen ans Tageslicht gebracht werden. Zugedeckt ruhen sie so lange, bis ein Ereignis diese zutage fördert. Das Licht der Wahrheit scheuen manche Situationen, die das Leben so mit sich gebracht hat.

Schön langsam bekommt meine Philosophie Anwendung. Meine Nachbarin erzählte mir unlängst von einem Altbauern aus einem Nachbarort: „Du, der hat nur mehr einen Zahn! Der kann nicht mehr beißen und er geht nicht zum Zahnarzt. Was kann denn der noch essen?“

„Der isst nur mehr Weiches, mampft und malmt, mümmelt und mantscht mit seiner Kauleiste. Das wir ihm wohl reichen.“, ergänzte ich. Ganz verwundert über so einen Dauerzustand sagte die Gerti noch: “ Er hat gemeint, er habe kein Geld für neue Zähne.“

Das ist typisch waldviertlerisch, der hat Angst vor dem Zahnarzt. Er weiß gar nicht, dass die schmale Bauernkrankenkasse ihm auch einen Zahnersatz zahlen würde und der Altbauer müsste nur einen Kostenanteil dafür bezahlen. Ich hörte solche Geschichten früher öfter, aber dass heute diese Mentalität noch immer in den Köpfen so mancher Einheimischer ist, das verwundert mich schon sehr. Wahrscheinlich hat er Angst vor dem Zahnarzt und will nicht auch noch seinen letzten Zahn verlieren. Das kommt fast dem Verlust des Lebens gleich.

Das Argument, er habe kein Geld, das gab es früher tatsächlich. Heute sind die Bauern nicht mehr arm und können sich Zähne leisten. Aber der Typus Mensch ist noch immer nicht ausgestorben. Das naturbelassene Maul reicht bis zum Sterben. Wer braucht denn im Alter noch ein Maul voller Zähne, wenn das Essen nicht mehr so schmeckt und den weichen Mampf kann man auch ohne Zähne hinunter würgen. Unglaublich wie solche Schrullis fast wie Neandertaler wirken, wie Ureinwohner auf der Böhmischen Masse.

© Anna Geier 2020-08-01

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