Zdeněk Adamec

Wolfgang Schinwald

von Wolfgang Schinwald

Story

Mitten in der Festspielzeit steht ein Freund mit seiner Frau vor meiner Tür. „Wir sind heute bei Geschäftspartnern eingeladen, und ich fürchte, wir sind für den Opern-Smalltalk nicht gerüstet“, klagt er. Mein Freund ist zu mir gekommen, weil er weiß, dass ich als Student mehrere Jahre im Festspielhaus gearbeitet habe und natürlich die eine oder andere Produktion mitbekommen habe. Eine halbe Stunde später kommt mir bei einem Glas Roséwein eine Idee.

„Wisst ihr was?“, sage ich. „Lasst euch nicht auf die Oper ein, wenn ihr keine Ahnung davon habt. Lernt den Namen Zdeněk Adamec auswendig!“ Sie können den Namen selbst nach mehrmaliger Probe nicht behalten und verwerfen meinen Vorschlag. „Früher haben wir einfach Tennis gespielt und an der Bar die Geschäfte gemacht. Das geht nicht mehr“, klagt mein geschäftstüchtiger Freund. „Eben!“, sage ich. „Lernt den Namen auswendig, den sich keiner merken kann. Das ist Goldes wert. Wenn ihr den Namen nennt, bestimmt das Thema ihr. Alle werden euch zuhören.“ Das Stück ist ein Auftragswerk des Literaturnobelpreisträgers Peter Handke. Während ich im Festspielhaus arbeitete, gab es zwei Stücke von ihm. Das erste hieß »Über die Dörfer«, das zweite »Prometheus, gefesselt«“.

Die beiden wissen rein gar nichts über den bedeutendsten Schriftsteller Österreichs, muss ich feststellen, aber das macht nichts. Ich beschränke mich auf das, was ihnen kein anderer für den Smalltalk liefern kann und nehme ihnen alle Zweifel. Ich erzähle, dass wenige der geistreichen Festspielgäste das Werk Handkes verstehen. Ich übrigens auch nicht. Zweimal musste ich »Die linkshändige Frau« lesen, um festzustellen: „Mehr ist es nicht.“ »Die Angst des Tormanns beim Elfmeter« braucht man auch nur vom Titel her zu kennen. Aber jetzt zum Smalltalk: Handke hat mehrere Jahre in Salzburg gelebt. Am Mönchsberg. Weil seine Tochter hier zur Schule gegangen ist. Dort ist er viel spazieren gegangen. Er liebt Schwammerl und sucht sie überall. Auch in Chaville, wo er jetzt wohnt. Das ist nicht weit von Versailles. Ich war natürlich dort. Am Mönchsberg bin ich auch seinen Pfaden gefolgt. Und im Mirjams Pub. Das war seine Stammkneipe in der Schallmoser Hauptstrasse. Und noch was: Handke ist für seine Sprachgewalt berühmt. Sätze wie »Er bedeutete ihm, herbeizukommen« sind für ihn typisch. Und jedes »Trotzdem« ersetzt er mit »Dennoch«. „Das müsst ihr auch anwenden! Und jetzt zu Zdeněk Adamec. Habt ihr euch den Namen gemerkt? Der hat sich als 18-Jähriger am Wenzelsplatz in Prag mit Benzin übergossen und angezündet. 2003. Kommt euch das bekannt vor?“

Jetzt erinnern sie sich an Jan Palach, der es ihm 1968 beim Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in Prag vorgemacht hat. Die erschütternde Nachricht hat sich damals in unsere Generation eingebrannt. Na ja. Jetzt ist plötzlich genug Gesprächsstoff vorhanden. Wir zünden eine Kerze für Jan Palach und Zdeněk Adamec an.

Am nächsten Morgen kommt eine SMS. „Geklappt. Danke!“

© Wolfgang Schinwald 2020-08-22

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