Zebrastreifen

Selina Eisner

von Selina Eisner

Story

An diesem Nachmittag war es doch noch sehr nebelig geworden. Der Nebel dort wird auch „Carl, the fog“ genannt, das finde ich heute noch sehr amüsant. Nach dem ganzen Sightseeing mit den anderen Studenten sehnte ich mich nach etwas Zeit mit mir alleine. Ich schlenderte im Flur herum, wieder blieb ich vor dem selbstgezeichneten Wandbild stehen und begutachtete es.

Zum zweiten Male traf mich diese Zeichnung direkt ins Herz. Und seit diesem Tage gewöhnte ich mir an, jedes Mal, wenn ich an der Zeichnung vorbeiging, kurz stehenzubleiben und mir selbst ein Kompliment zu machen. Wenn ich schon keinen hatte, der mir sagte, dass ich ganz in Ordnung wäre, so wie ich bin, dann würde ich es mir einfach selber sagen. Irgendwann würde ich es mir dann hoffentlich auch glauben. Im Laufe meines Aufenthaltes ging ich dann doch sehr, sehr oft an dieser Zeichnung vorbei. Mir war nicht bewusst gewsen, dass ich so nett zu mir sein konnte.

Im Supermarkt um die Ecke holte ich mir einen kleinen Snack. Auf dem Rückweg hielt in an einer roten Fußgängerampel. Die Baustelle neben dem Studentenheim war direkt an der anderen Straßenseite. Dort arbeiteten Bauarbeiter mit durchnässten T-Shirts. Einer davon regelte den Verkehr und ging in die Mitte des Zebrastreifens. Die Ampel schaltete um und ich spazierte los. Der Mann war extrem durchtrainiert und sein „Sixpack“ schillerte durch sein nasses Shirt. Ich richtete meinen Blick direkt auf ihn. Wegschauen wäre mir eindeutig nicht gelungen. Ich war sehr irritiert, als er mich plötzlich am Unterarm streifte und sich ein verlegenes Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete. Ich brachte ein schüchternes „Hi“ heraus und marschierte weiter.

Das Gleiche ist mir doch in der Schule auch passiert. Ist dies denn die amerikanische Art mit jemanden anzubandeln? Vielleicht war ich zu lange in einer fixen Beziehung. Ich wusste gar nicht mehr wie man richtig flirtet oder sich jemanden annähert. Das Ganze war bestimmt wieder nur eine seltene Begegnung.

Ein abwechslungsreicher Tag neigte sich dem Ende zu. Ich war noch Stunden beschäftigt, meinen Heizkörper zu reparieren. Geschafft hatte ich es nicht in dieser Nacht. Kurz vor dem Einschlafen klopfte es an meiner Türe. Hugo wünschte mir eine gute Nacht und wir verabredeten uns zum Frühstück. Ein überaus gemütlicher Typ. Ich zog so viel Kleidung an wie ich nur konnte und checkte kurz meine Nachrichten auf meinem Handy. Meinen Freundinnen und meiner Familie schickte ich eines der Fotos mit ausgeweiteten Armen. Mir war die Leichtigkeit dabei wie ins Gesicht gezeichnet.

Eeine Nachricht von Daan war auch dabei. Er wollte sich zum Wochenende zum Essen verabreden und hätte sich schon Gedanken gemacht, wohin wir gehen könnten. Konnte ich das machen? Schließlich kannte ich diesen Typen ja nur vom Langstreckenflug. Nicht lange zögernd willigte ich ein.

Bevor ich einschlief, stellte ich noch den Schreibtisch vor die Notausgangtüre. Die gruselige Treppe führte schließlich irgendwohin.

© Selina Eisner 2021-04-21

Hashtags