Zeit

Ein Blick in meinen Kalender, ein Termin folgt dem nächsten. Nicht nur heute, auch morgen. Auch übermorgen. Auch mein restliches Leben? Dieser Gedanke macht mich wütend. Was ist das? Woher kommt das? Dieser Ablauf: erfahren, verarbeiten, nachdenken, erkennen, handeln, wieder erfahren, wieder verarbeiten. Dieses Fortbewegen scheint mir ein Betrug. Nicht das -bewegen, aber das Fort-. Die Bewegung ist real, ob sie im Kreis verläuft, zickzack oder wellenförmig. Beim Fort stellt sich mir die Frage, wohin. Wohin kann ich mich bewegen? Nach links oder rechts? Zurück oder vorwärts? Mein Kalender sagt vorwärts, denn ist ein Termin zu Ende gebracht, beginnt der nächste. Ich gehe vom einen zum anderen, von hier nach dort, von der Vergangenheit in die Gegenwart, von der Gegenwart in die Zukunft, vom Gestern ins Heute und vom Heute ins Morgen. Es ist verwirrend, springe ich doch andauernd zwischen Gedanken, die alle im Jetzt stattfinden, aber mir von Vergangenheit und Zukunft erzählen. Vielleicht macht mich das wütend – diese Verwirrung, dieses Springen, dieses Abschweifen vom Jetzt. Denn existiert doch nur der Moment, der Augenblick. Ich lebe in meiner eigenen Fantasie, in einer erdachten Zeit. Ich bin heute klüger als gestern. Ich war gestern jünger als heute. Ich werde morgen fort-bewegter sein als heute. Aber wovon bewege ich mich fort? Vom Jetzt, von mir? Vielleicht ist Zeit nicht Fortbewegung, sondern Stillstand, ein Tor zu Tiefe. Denn Tiefe ist nicht im Ablauf von Fortbewegung zu finden – erfahren, verarbeiten, nachdenken, erkennen, handeln, wieder erfahren, wieder verarbeiten. Ist die Fortbewegung allerdings nötig, um Tiefe erfahren zu können? Das würde meine Wut darüber erklären, im Fortbewegen mein Leben zu suchen. Darüber muss ich nachdenken. Dann schließe ich meinen Kalender, fühle den Puls meines Herzens, finde Ruhe im Innern, erkenne Stille im Äußern. Ich atme tief ein und bin wieder anwesend… im Jetzt. In der Zeit.