ZIDE

Gudrun Salzer

von Gudrun Salzer

Story

Nie mehr Schule. Mein zweiter „echter“ Arbeitstag. Nach zweieinhalb Wochen Einschulung im sommerlichen Ausweichbetrieb. Kleinkinder ab ihrer neunten Lebenswoche bis zu drei Jahren wurden gefüttert, gewickelt, getröstet, mittags in den Schlaf gestreichelt, besungen, verkuschelt.

„Telefon für Sie. Im vierten Stock. Das Jugendamt.“ So die Anweisung meiner Chefin. Treppauf studierte ich im Laufschritt, welch amtliches Begehr am anderen Ende der Leitung auf mich warten könnte. Meine leibeigene Volljährigkeit zeigte sich zwar noch grün hinter den Ohren, womit meine Zuständigkeit doch definitiv aus den Agenden besagter Behörde entwachsen war.

Die Dame setze mich in Kenntnis, dass schon am nächsten Morgen ein weiteres Kind meine Gruppe besuchen würde. Sie gab mir ein Rätsel auf. Zwölf Windelmätze standen auf meiner Liste. Mehr Platz gab der Raum nicht her. Warum nun ein dreizehntes?

„Sie haben das Mädchen während der letzten Wochen betreut. Hat man mir gesagt.” Kopfnicken ist angeblich am anderen Ende einer altmodischen Festnetzleitung kaum wahrnehmbar. Dennoch untermalte ich den Amtsmonolog dahingehend.

„Das Mädchen wird heute aus dem Krankenhaus entlassen.” die Fragezeichen in meinem Kopf explodierten.

„Dort war es einige Tage zur Beobachtung. Nachdem der Vater die Mutter in dessen Beisein ermordet hatte. Das Mädchen lag knappe vierundzwanzig Stunden neben der toten Mutter.”

Bumm.

Er war um einen Kopf kleiner als ich. Trotzdem passte kaum ein Blatt Papier zwischen uns beide. Er forderte mich nachhaltig auf, seine Frau in Ruhe zu lassen. Sonst….

Ja, was sonst.

Sonst…

Am Polizeiposten fühlte ich mich beinah ein wenig heimisch. Dank einer Frau, die zur Heirat mit diesem Mann gezwungen worden war. Ein Mann, der sie mit der geladenen Pistole an ihre ehelichen Pflichten erinnerte. Ihre braunen Augen zeigten sich gemeinhin blau verfärbt und etwaige andere Spuren der ehelichen Zuneigung waren offensichtlich. Jahre der Angst. Und doch oder deshalb schafften wir es gemeinsam, dass ihr Martyrium ein Ende fand.

Bumm.

Darmspiegelung. Wegen akuter Bauchschmerzen. Bei einer durch und durch gesunden Frau. Anfang zwanzig. Die Mediziner befundeten ratlos ohne Befund. Wochen später erzählte sie von den Fußtritten, verpasst durch den Mann, der sich nur mit dem Tod scheidet. Gestorben ist niemand. Doch die Szenen vor dem Frauenhaus- ich erspar mir die Erinnerung.

Bumm.

Herbizide. Pestizide. Fungizide. Femizide.

Ich hoffe, die Wortschöpfer wissen, welch Kreation sie geschaffen.

© Gudrun Salzer 2021-05-09