von OlgaFlora
Die Jüngere war einfach so reingeplatzt, eine Hübsche war sie und ließ es die Ältere vom ersten Tag an merken.
Die konnte es anfangs nicht fassen. So angenehm hatte sie es sich an der Seite des älteren Kollegen eingerichtet. Seinen weisen Rat gern angenommen, seine Lebenserfahrung für sich zu nutzen gewusst. Nun kam dieses junge Ding mit seinem süßen Gesicht und dem seidenweichen Haar und der Alte in seiner Gutmütigkeit ging ihr auf den Leim. Viel zu nah ließ er die Kleine an sich heran, das hätte sie sich in ihrer Jugend nie erlaubt. Doch er duldete es, leicht brummend zwar, aber doch freundlich. Wenn sie schmollte, beruhigte er sie, riet zu mehr Gelassenheit mit der Jugend und versicherte ihr, auf immer ihr väterlicher Freund zu bleiben.
In den letzten Wochen war ein wenig Ruhe zwischen den beiden Damen eingekehrt. Sie gingen einander aus dem Weg, konzentrierten sich jede auf ihre Weise auf die Arbeit und wenn sie, bei gemeinsamen Mahlzeiten, aufeinandertrafen, schwiegen sie und verkniffen sich Feindseligkeiten unter dem wachsamen Auge des alten Herrn.
„Jugend und ein hübsches Gesicht vergehen, Weisheit und Würde bleiben bestehen.“, davon war Emily, die Ältere, überzeugt.
„Man muss nur abwarten können“, dachte sich dagegen Dora in ihrer unbekümmerten Art. Auf ihren jungen Beinen und mit rascher Auffassungsaufgabe schaffte sie locker das dreifache Tagespensum von Emily und das ging gut, solange sie sich nichts anmerken ließ. Doch das Flämmchen Eitelkeit flackerte in ihr,zart, aber ohne Unterlass. Immer öfter konnte sie es nicht lassen, ihrem Kollegen Proben ihrer großartigen Leistungen zu zeigen, erst nur ganz verschämt. Doch als sie merkte, wie sehr ihn dies beeindruckte, immer offener und unverfrorener. Das blieb Emily nicht verborgen und machte sie von Tag zu Tag ruheloser. „Kein Respekt! Nur Sinn für Profit . Quantität vor Qualität.“
Eines Nachmittags hatte das junge Ding wieder einmal gewagt, in Emilys Reich vorzudringen, dabei völlig übersehen, dass die Alte, unauffällig und unscheinbar, hinter der Türe lauerte. Als Dora nun flink in den Raum stürmte, sprang die andere aus ihrem Versteck hervor, holte aus und traf ihre Kontrahentin zielgenau mit der ausgestreckten Rechten am linken Ohr. Dora kreischte auf, ließ alles fallen, was sie mit sich getragen hatte, und stürmte unter Schmerzensschreien aus dem Zimmer, aus dem Haus.
Emily sah ihr nach, dann setzte sie sich kerzengerade auf, schlang ihren kräftigen Schweif elegant um ihre Beine und begann genüsslich, ihr samtig schwarzes Fell zu putzen.
Draußen vor der Tür kam die zarte silbergraue Dora nur langsam zur Ruhe. Diese Maus und dieser Kampf waren für sie verloren. Doch sie war jung und sie hatte Zeit. Dora schüttelte sich, einige Fellknäuel, die sie im Streit verloren hatte, schwebten durch die Luft, und dann trottete sie ganz langsam davon.
© OlgaFlora 2021-12-10