Zigeunerwagen

Maria Büchler

von Maria Büchler

Story

Es war nicht etwa das Fernweh, das mich in diverse Teile der Welt entführt hat. Aus bodenständiger Familie mit Eigenheim stammend, hielt ich es in jungen Jahren für eine Tugend, daheim zu bleiben und sich redlich zu nähren. Alles immer klein, bescheiden, unauffällig und so, dass es keinen Neid weckt und auch das Wohlgefallen der Nachbarn findet.

Wie zu erwarten, ist es natürlich ganz anders gekommen. Ich habe meine vier Räder entdeckt und sie im Lauf der Jahrzehnte genützt. Immer noch sind sie meist hart gefedert und holpern über steinige Wege mit Schlaglöchern, über Baumwurzeln und durchs Moor. In überfluteten Gebieten erweisen sie sich oft genug als viel zu niedrig. Oft klebt Schlamm an ihnen, die Speichen verfangen sich im Gestrüpp. Sie werden zerschrammt und geschunden.

Ab und zu brechen und splittern sie auch. Es geht nicht mehr voran. Bis zum nächsten Aufrappeln. Bis zur nächsten Grenze, die sich in unerwartete Gebiete öffnet. Wo Begegnungen warten, die mich bereichern. Vor allem dann, wenn ich Erfahrungen mache, die man schlecht nennt. Die sind nämlich besonders kostbar.

Nicht etwa, dass ich viel daraus lerne. So gescheit bin ich leider immer noch nicht. Es ist vielmehr so, dass sie mich dankbarer zurücklassen für das, was mir geblieben ist. Und ich das Leben viel mehr geniesse als zuvor.

Immer wieder verpasse ich mir einen frischen Anstrich. Meist wähle ich Grüntöne, die Farben des Lebens. In diesen Zeiten fahre ich auch mal mit Begleitung. Dann umgibt mich Musik, je nach Sozius, und ich lerne wieder neue Universen kennen.

Wer mich zieht? Anfangs war es ein einzelnes Rösslein. Es gab aber auch schon eine pfeilschnelle Quadriga. Dreimal waren die Pferde weiss bebändert und blumengeschmückt.

Aber oft genug habe ich den unnötigen Ballast abgeworfen und mich selbst davor gespannt. Das war mühsam, hat mir aber neue Kraft verliehen. Zumindest eine Zeitlang.

Doch, es gab auch Jahre auf dicken Gummireifen, die Polster überzogen mit Samt und Seide. Ausgestattet mit romantischen Lampen und goldüberzogenen Armaturen. Der Lack poliert und in fantastischen Farben glänzend. Dann flog ich mühelos dahin. High Life vom Feinsten.

Viele fühlen sich in den Alpentälern wohl. Mir ist die Ebene mit ihrem ausgedehnten Horizont stets lieber gewesen. Da zeigt sich der Himmel in seiner luftigen Weite, da öffnet sich die Welt unter ihm. Da ahne ich, was sie alles bereithält.

Ich alter Zigeunerwagen bin viel gereist und doch nicht gar so weit herumgekommen. Heute hoffe ich, in der Remise bleiben zu dürfen. Ich mag nicht mehr unterwegs sein. Es ist mühsam geworden. Aber es hat mich bereichert. Ich möchte nichts davon missen.

© Maria Büchler 2020-04-25