von Henrietta Hartl
Es war ein Schock, damals. Ich war so naiv, ich habe total geglaubt, dass Rob mich liebt, dass er mir treu ist. Natürlich bin ich nicht die einzige, das geht Millionen anderen auch so. Das macht es aber nicht weniger schrecklich, wenn es einen plötzlich selber trifft …
Ich war gerade auf einem Seminar, als ich es rausbekommen habe. Diese Melanie war so unfassbar doof, dass sie Rob eine Love-Mail an die Adresse geschrieben hat, auf die auch ich Zugriff habe. Vielleicht war es auch nicht Dummheit, sondern Taktik, und sie wollte Rob in Zugzwang bringen. Na egal, jedenfalls bin ich sofort losgefahren, die ganze lange Strecke, in das Gewitter hinein.
Sie stand auf dem Balkon und hat geraucht. Das grelle Außenlicht hat mir gezeigt: Ich habe keine Chance gegen sie. Sie sieht mir wahnsinnig ähnlich – nur in rund 10 Jahre jünger.
Ich bin hochgestürmt, und da saß Rob an seinem Laptop. Als er mich gesehen hat, hat er sich weggedreht, der Feigling, und sein Gesicht in den Händen vergraben. Der Donner hat gekracht, der Blitz hat gezuckt, irgendwas in mir ist explodiert – ich habe ihn wild gewürgt, er hat sich nicht gewehrt, ist zusammengesackt, voll Panik habe ich noch stärker gewürgt – und er war tot …
Dann bin ich raus auf den Balkon. Melanie hatte nichts mitgekriegt, sie stand da, hat geraucht und in die Ferne geschaut. Ich habe sie angeschrien, sie ist herumgefahren und hat mich angestarrt. Als sie den Blick in meinen Augen gesehen hat, ist sie gegen das Geländer zurückgewichen. Da war noch ein Blitz – mir wurde klar, dass ich wegen ihr gerade Rob umgebracht hatte – wütend habe ich sie gestoßen – und dann ist sie mit einem schrecklichen Schrei abgestürzt.
Entsetzt habe ich nach unten gestarrt, wo sie ganz verdreht und leblos lag.
Und dann tauchte Kira auf.
Sie hatte die Idee, und ich habe mitgemacht. Es hat gedauert, den Tagebucheintrag und den File hinzubiegen, und dann die scheußliche Arbeit mit dem Unkrautbrenner… Es war natürlich sehr riskant, und ich habe fast nicht daran geglaubt, dass es funktionieren würde. Aber hat es dann doch. Und da einer meiner Ex-Lover ein Hacker ist, war eine neue Identität kein Problem, und ein sattes Startkapital hat Ben mir auch aus einer Bank abgezweigt. Manchmal hat man einfach Glück – auch wenn man dabei vielleicht ziemlich unglücklich ist….
Natürlich habe ich ein schlechtes Gewissen. Aber eigentlich nicht wegen Rob, sondern wegen Kira. Sie hatte schon immer psychische Probleme, und diese Sache hat sie dann endgültig traumatisiert. Immerhin konnten ihre Eltern sie in diese erstklassige Privatklinik bringen, mithilfe meiner anonymen Spenden. Aber Geld ist nicht alles, und selbst in der Klinik rücken ihr wohl Sensationsgeier auf den Pelz. Von Costa Rica aus kann ich sie nicht besuchen, wir kommunizieren also nur über Telefon und Mail.
Aber in ein paar Jahren, wenn Gras über die Sache gewachsen ist und ich mein Aussehen noch weiter verändert habe, dann werde ich zurückkommen und sie zu mir nehmen.
© Henrietta Hartl 2023-01-22