Zu Fuß zu den Pyramiden

Christine Sollerer-Schnaiter

von Christine Sollerer-Schnaiter

Story

Die Besichtigung von Gizeh ist erregend und enttäuschend zugleich. Touristenrummel, aggressives Verkaufsverhalten der Einheimischen; Hinaufsteigen verboten; Anstellen, um in die dunklen stickigen Kammern und Gänge zu klettern. Tumult rundherum!

Erst als ich mich auf einen Stein setze und dem Treiben zuschaue, bekomme ich eine Ahnung, ein Gefühl für die Geschichte und die Heiligkeit dieses Ortes. Aber da geht es schon wieder zurück zum Bus. Zum Glück ist das Hotel nicht weit weg von Gizeh – zwei bis drei Kilometer – und ich beschließe am späten Nachmittag – anstatt am Pool zu relaxen – zu den Pyramiden zu wandern. Auf staubiger Straße in gerader Linie. Was meine Augen da zu sehen kriegen, ist von den Reisebüros nicht vorgesehen. Ich habe schon vorher bedauert, dass wir nie selber in Seitengassen gehen dürfen, sondern immer nur dem heimischen Reiseleiter folgen. Touristen sollen nur das Schöne sehen, nicht das Elend!

Lastautos donnern an mir vorbei – es gibt keinen Gehsteig. Ein Kanal zieht sich der Straße entlang – im Wasser treiben Kadaver von toten Tieren – ein Esel, zwei Hunde. Ein stinkender Hund liegt mit offenem Bauch im Straßengraben. Häuschen bestehend nur aus Mauern, zum Teil überdacht als Schutz gegen die Sonne, säumen den Weg. Davor im Staub spielende Kinder. Auf dem bewässerten schmalen Grundstreifen zwischen Kanal und Straße kleine Gemüsegärten und Äcker für den Eigenbedarf.

Ein Kind schläft unter einem Baum am Straßenrand, das Gesicht bedeckt mit Fliegen. Ich erschrecke und will schauen, ob es noch lebt. Da treffen mich drohende Blicke von zwei Frauen, die etwas entfernt auf dem Boden sitzen. Ich gehe mit mulmigem Gefühl weiter.

Dann sehe ich die drei Pyramiden im Abendsonnenschein – ein mildes verzauberndes Licht. Die Straßenverkäufer, Standinhaber und Kameltreiber packen gerade zusammen. Kein Bus, keine Touristen. Ein paar verwunderte Blicke, aber ich werde ganz in Ruhe gelassen.

Ich begegne der Sphinx mit ehrfürchtigem Staunen – dem geheimnisvollen Menschenkopf auf einem Löwenleib, der lange Zeit vom Sand begraben war. Die Legende erzählt von einem jungen Prinzen, der einst auf einem Wüstenritt sich im Schatten der Sphinx zum Schlafen niederlegte und dann von ihr aufgefordert wurde, den jahrhundertealten Sand wegräumen zu lassen. Er bekäme dafür den Thron von ganz Ägypten. Etwa 30 Jahre später vereinigte er als Thutmosis IV. Ober- und Unterägypten – die Welt von damals.

Ich klettere mühsam einige Stufen die Cheopspyramide hinauf und begebe mich auf Zeitreise. “Eine Treppe zum Himmel ist für den Pharao gebaut worden, auf dass er auf ihr zum Himmel emporsteigen möge” – aus Pyramidentexten.

Ein gelber Sonnuntergang am flachen Horizont – gelbrote Staubwölkchen, gelbroter Sand und Gestein und das Reich der Pharaonen vor 5000 Jahren!

Es wird schnell dunkel. Auf dem Rückweg halte ich ein Taxi auf, vereinbare einen Preis und lasse mich sicher ins Hotel bringen.

Ich habe das alte Ägypten gesehen!

© Christine Sollerer-Schnaiter 2021-01-29