Zufluchtsort

Barbara Moser-Natter

von Barbara Moser-Natter

Story
2019

Mein Garten ist eigentlich eine Terrasse, ein Ort, der nicht erdverbunden ist und doch ist er mein Garten. Der erste, erwartungsvolle Schritt hinaus im Frühjahr ist immer mit Spannung verbunden.

Ich atme tief die Luft ein, die noch Fetzen vom Winter in sich trägt. Es ist ein Moment, der mich sofort an meine Kindheit erinnert. In sekundenschnelle schnürt es mir die Kehle zu, ich spann den Kiefer an und glaube sofort weinen zu müssen. Traurigkeit, Verzweiflung, Sehnsucht breitet sich aus und ich kann mich nicht dagegen wehren. Ich unterdrücke den Impuls, genauso, wie ich es immer gemacht habe, wie ich es gut und lange geübt hatte. Und ich staune wie schnell es immer noch klappt.

Was mach ich heuer bloß aus diesem 30 Quadratmeter großen Fleck, der verlassen, lieblos und leer vor sich hinträumt? In der Ecke im Topf steht einsam eine Feuerlilie, uralt, und doch sprießen schon die ersten frischen Spitzen aus der Erde. Ich verweile dort, schau liebevoll auf das kleine Wunder, zupfe hier und da ein paar trockene Gräser aus. Reste vom letzten Leben.

Ich schweife ab, glaube im Augenwinkel das üppige Grün zu sehen, welches letzten Sommer überall wuchern durfte. Ich schließe die Augen und träume von eben diesem Sommer. Von den ungeheuerlichsten Sonnenuntergängen die ich hier, über den Dächern, erleben durfte. Vom Flattern des Sonnensegels, dass mich stets glauben ließ, ich bin auf dem Meer. Weit draußen, nur von Ruhe umgeben und dem leisen Wellenschlag meines Herzens. Hin und wieder weht eine zarte Brise den Duft der Blüten und Gräser zu mir. Süßlich, luftig, sinnlich. Frei.

Diesmal lässt sich das Gefühl nicht unterdrücken und kommt hoch, lässt das Wasser bis in die Augen dringen, eine kleine Träne trotzt mir, will ihre Beachtung. Na gut, ich kann’s verstehen, meine Gerührtheit lässt mich milde lächeln.

Ich kremple den Pulli hoch, zieh die Gartenhandschuhe an, beginne die Töpfe zu drapieren, pflanze die gekauften Blumen, Samen, Tomatenpflanzen und allerlei, von lieben Menschen geschenkte, Ableger ein. Was wohl daraus werden wird?

Immer wieder stundenweise, tageweise, so wie es meine Stimmung zulässt, wird die Terrasse belebt. Mit jedem fertigen Topf kommt die Lust auf einen Neuen, einen noch üppigerem, farbenfroherem. Und langsam wird es. Der Sommer ist gekommen und mit ihm die tausend Bilder meiner Phantasie, ein Zufluchtsort aus meinen Träumen.

Tag für Tag kann ich sehen was wächst und gedeiht und was nicht. Kann sehen worin ich mich getäuscht habe, worin all meine Hoffnung gesteckt hat und doch verreckt ist. Und woraus doch noch was geworden ist, besser als erhofft und erträumt. Na Sowas! Und am liebsten ist mir immer noch die alte Feuerlilie, die wieder wunderschön geworden ist. Sie ist all die Jahre bei mir geblieben, treu und unverwüstlich. Diesmal dürfen mehrere Tränen meine Seele netzen. Das ist Leben!

© Barbara Moser-Natter 2021-03-14

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