Zuhause ist nirgendwo

Sadda Mar

von Sadda Mar

Story


„Franjo, ich bin schwanger!“ Im Juni 1942 kommt in Berlin ein kleines Mädchen auf die Welt, ihr nennt eure Tochter Renate. Das Leben in der Hauptstadt wird immer gefährlicher, immer häufiger Bombenalarm, ihr beschließt ein Jahr später, nach Zittau zu deinen Eltern zu ziehen.

Erneut bist du schwanger, doch auch hier könnt ihr nicht bleiben, deine Eltern haben wenig Platz und auch kaum Geld. Gemeinsam geht ihr nach Vinkovci, Kroatien, in die Heimatstadt deines Gatten. Franjos Familie sind reiche Bürgersleute, ebenfalls Fleischhauer. Mutter Magdalena ist eine strenge Frau, die deine Sprache spricht. Auch ihre Vorfahren wurden hier einst von Kaiserin Maria Theresia aus Deutschland angesiedelt. Sie ist eine geborene Hoffmann. Deine Arbeit im Haushalt, die dir wegen des wachsenden Bauches sehr mühselig ist, wird von Frau Hoffmann weder wertgeschätzt noch anerkannt. „Die Deutschländerin tut scho wieder Krumpir kochen.“, erzählt Schwiegermutter im Geschäft den Kunden abschätzig. Franjo wird einberufen, bekommt aber dank guter Kontakte einen Posten als Chauffeur des Kreisleiters. Es ist April. Euer zweites Kind kommt zur Welt, ein braver Sohn. Er wird auf den Namen Manfred getauft, Vati ist sehr stolz. Die Zeiten spitzen sich zu, immer mehr Bomben fallen und du willst nachhause, glaube ich. Warum du aufbrichst und was du mitnimmst, kann ich dich leider nicht mehr fragen. Aus dem Erinnern meiner Mama an deine Erzählungen weiß ich aber, dass du im Spätfrühling 1944 allen Mut und deine zwei kleinen Kinder zusammennimmst und einen der letzten Flüchtlingstransporte über Klagenfurt. Leider endet die Reise viel zu früh und du landest in ein Flüchtlingsheim in München, ihr dürft nicht weiter. Dort musst du ein halbes Jahr auf die Weiterreise nach Zittau warten, zumindest erzähltest du es so.

Wir fahren mit Oma zum Einkaufen und ins Kaffeehaus. Ich spiele mit Oma Mensch-ärgere-dich-nicht und mache mich über ihre deutsche Zählweise lustig: eins-E, zwei-E, drei-E, vier-E, fünf-E, sechs-E. Oma liebt süßen Kaffee: „Probier doch mal!“, sagt sie und ich mache meine erste Kaffeeerfahrung zwischen Genuss und absolutem Angewidert-Sein mit viel Milch, Zucker und Erzählen. Wir Erzählen, sagt sie, oder lass uns ein bisschen Erzählen. Ihre Zähne sitzen locker im Mund und sie spielt damit, kreist sie, ich kann mich noch gut an das Geräusch erinnern.



© Sadda Mar 2024-03-14

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional