von Ulla Burges
Sophia spricht immer wieder ĂŒber den Tod. Sowohl ĂŒber den Tod im Allgemeinen, als auch ĂŒber den eigenen, den ihr nahe stehender Menschen â heute ĂŒber den meinen. Ich mache mit. Je mehr sie den Tod in ihr Blickfeld rĂŒcke, sich nicht vor ihm verschlieĂe wie die meisten Menschen, je mehr sie ihn thematisiere, umso lĂ€nger lasse er sie in Ruhe. Sie und ihre Lieben.
âDu sollst mir nicht einfach so wegsterbenâ, sagt sie. âNur der Tod, den man ignoriert, aus seinen Gedanken vertreibt, ist beleidigt, und dann ist er da, ratz-fatz, und weg bist du. Oder er kommt und quĂ€lt erst eine Zeit lang an dir rum, weil du ihn nicht mit einbezogen hast in dein Leben.â
Ich sage ihr, dass sie damit den Tod vermenschliche. âSchonâ, sagt sie, âaber wie soll ich sonst an ihn rankommen, mit ihm umgehen, ihn ansprechen. Das ist doch auch so wie mit Gott, den vermenschlichen wir auch, damit wir mit ihm sprechen, zu ihm beten können. Zu einer diffusen Macht kann ich keinen Bezug haben. Ich stelle mir gern vor, dass du tot bist. Dann kann ich jetzt schon ein bisschen trauern. Wenn es dann wirklich so kommt, hab ich bereits ein Trauerquantum absolviert, und es tut dann nicht mehr so weh, dauert nicht mehr so lange. Abends im Bett liege ich und weine oft um dich, weil ich denke, du bist gestorben oder du stirbst gleich. Das beruhigt mich. Und dein Tod ist besĂ€nftigt. Ich versuche, mir auszumalen, wie du aussehen wirst so in der letzten Zeit vor deinem Tod. Eines finde ich ungerecht: Es gibt hĂŒbsche Fotos von dir, von frĂŒher, von jetzt auch. Warum kann man kein Foto aus der Zukunft machen? Ich will heute sehen können, wie traurig du aussehen wirst, krank vielleicht, und eingefallen. Ob deine Haare dĂŒnn geworden sind. Ob du noch deine ZĂ€hne haben wirst. Ich stelle mir vor, dass du dich pflegen und lange auf dein ĂuĂeres achten wirst, und dass ich dir ein schönes duftiges Kleid anziehen werde, dass du das noch mitkriegen und dich freuen wirst. Und die Perlenkette, die rote, die du nicht leiden kannst, die wird dir dann gefallen. Du bist mir nicht böse, wenn ich mir so Sachen ausdenke?â
Sophia, etliche Jahre jĂŒnger als ich, sieht mich plötzlich unsicher an. âNeinâ, sage ich, âdu hast eine originelle Phantasie.â Und dann frage ich sie, ob sie ebenso um sich selbst trauere, auf Vorrat sozusagen. âDas mĂŒssen doch andere tun, da kann ich nicht vortrauern, das kann nicht meine Aufgabe sein. Aber heute sind wir nur bei dir â und ich sehe, du willst ablenken. Sie sieht mich von der Seite her an, so aus dem Augenwinkel. âGut“, sage ich, âwenn ein Bild dir helfen kann, mich in die Zukunft zu imaginieren, werde ich mich malen, zukĂŒnftig, so ungefĂ€hr, wie du mich eben beschrieben hast. Foto geht ja irgendwie nicht.â
Sophias Augen werden groĂ, fĂŒllen sich mit TrĂ€nen. Sie umarmt mich. Das sei die wunderbarste Idee, die ich je gehabt hĂ€tte.
Und dann male ich das Bild fĂŒr sie. Sophia ist gerĂŒhrt. âJa! Genauso wirst du aussehen!â Wunderbar traurig findet sie das Bild. Sie weint laut und anhaltend. Ich renne lieber schnell weg.
© Ulla Burges 2021-04-10