von Jürgen Heimlich
Es begann mit Fürst Myschkin. Ich fuhr mit dem Zug von Wien nach Graz, um dort meinen damals besten Freund zu besuchen. Und ich las mit Vergnügen „Der Idiot“ von Dostojewski. Fürst Myschkin war selbst mit dem Zug unterwegs. Zum Unterschied zum Fürsten war ich aber in kein Gespräch mit einem anderen Reisenden vertieft, sondern in das Buch. Mit diesem ersten Roman der „fünf Elefanten“ von Dostojewski begann meine lange Reise gemeinsam mit dem Genie aus Russland. Swetlana Geier übersetzte im Laufe von 20 Jahren die fünf großen Romane von Dostojewski und der Film „Die Frau mit den 5 Elefanten“ verdeutlicht den tiefen Respekt der ausgezeichneten Übersetzerin für Dostojewski. Jedes Wort, jede Redewendung wurde auf die Waagschale gelegt. Ohne guten Übersetzer können die wunderbarsten literarischen Werke an Qualität verlieren.
Den „Idioten“ hatte ich mit 19 gelesen. Und bis zum Alter von 25 las ich so gut wie alle Werke von Dostojewski, manche mehrmals. „Ein Sommer in Baden-Baden“, ein tolles Werk von Leonid Zypkin, über dessen Entstehungsgeschichte und Hintergründe ein eigenes Buch geschrieben werden könnte, zeigt Dostojewski mit allen Schwächen und Stärken. Wahrscheinlich jenes Werk, wodurch einen der russische Schriftsteller besonders nahe kommen kann. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, erst jetzt Dostojewski mit allen Ecken und Kanten kennenzulernen. Dostojewski war Antisemit und machte daraus auch keinen Hehl. Der Heiligenschein, der ihm oft aufgesetzt wird, ist ohnehin nicht angebracht. Und dass Schriftstellerinnen und Schriftsteller fragwürdige Meinungen vertreten können ist keine Neuheit. Das ändert nichts an der enormen literarischen Qualität, die das Werk von Dostojewski ausstrahlt.
Dostojewski starb am 9. Februar 1881 im Alter von 59 Jahren. Er hatte noch viele Ideen für weitere Romane. So wollte er auch eine Fortsetzung der „Brüder Karamasow“ schreiben. Eine Passage aus dem Roman steht mir besonders vor Augen. Iwan Karamasow sagt seinem Bruder Aljoscha, der Mönch ist, angesichts der Leiden, die viele Kinder durchmachen müssen, einen unvergesslichen Satz: „Nicht Gott lehne ich ab, Aljoscha, sondern ich gebe ihm nur mit höchster Achtung meine Eintrittskarte zurück.“ Iwan konnte es nicht ertragen, dass es zu großen Versöhnungen im Himmelreich kommen soll. Jede Träne, die ein Kind aus dem Leiden heraus vergießt, ist eine zu viel.
Dostojewski war ein tief religiöser Mensch. Dem ging eine lange Entwicklung voraus. Und er verspielte ein Vermögen beim Roulette und sein „Spieler“ ist mittlerweile Schullektüre. Er konnte auch verärgert und unnachgiebig sein. Was jedoch das Entscheidende ist: Er schilderte die Gefühle und Gedanken seiner Protagonisten wie vielleicht kein anderer Schriftsteller. Und so rufe ich Euch anlässlich seines 200. Geburtstages zu: „Lest Dostojewski und Euer Leben wird eine großartige Bereicherung erfahren, die Euch in bis dahin unbekannte Gefilde führen wird.“
© Jürgen Heimlich 2021-11-11