Zum ersten Mal ans Meer 


Walter Tiefenbacher

von Walter Tiefenbacher

Story

1985. Mein erster selbstverdienter Urlaub. Mein erstes Auto. Ein Polo Bunny, weiß, mit sportlichen LĂ€ngsstreifen, Sportsitzen und flotten 50PS. Und zwei Schulfreunde. Vor zwei Jahren hatten wir gemeinsam maturiert. Bene, einer der beiden ist ein großer Fan der Provence. Ich kam bis dahin noch nicht so weit herum.

Es war im April. Wir brachen frĂŒh auf. Durch die Schweiz und dann Richtung Lyon. Nun geht es auf der A7 die Autoroute du Soleil durch das pittoreske Rhonetal. Eine erste Rast. Die Sonne viel wĂ€rmer als bei uns zu Hause. Ich sauge die neuen EindrĂŒcke in mir auf. Frankreich. Hier war ich noch nie. Unser erstes Ziel. Orange. BerĂŒhmt durch das römische Amphitheater und einer der grĂ¶ĂŸten Garnisonen der FremdenlegionĂ€re. Zum ersten Mal in meinem Leben esse ich eine Fischsuppe. Soupe de Poisson. Eine französische SpezialitĂ€t. Und wie köstlich. Danach ein EntrecĂŽte mit Herbes de Provence. Dazu ein krĂ€ftiger Rotwein, ein ChĂąteauneuf-du-Pape. Essen wie Gott in Frankreich. Diese Redewendung fĂ€llt mir in diesem Moment ein. Am nĂ€chsten Tag besuchen wir diesen berĂŒhmten Weinbauort. ChĂąteauneuf-du-Pape. Hier befand sich auch die Sommerresidenz der avignonesischen GegenpĂ€pste. Die liebliche und sanfte Landschaft der Provence nimmt mich immer mehr gefangen. Nach einer Weinverkostung und mit einem großen Karton erlesener Tropfen fahren wir weiter Richtung Marseille. Brav schnurrt mein Polo Bunny weiter Richtung SĂŒden, die Rhone immer wieder im Blickfeld.

In der NĂ€he von Marseille nehmen wir uns ein kleines Hotel unweit des Meeres. Ich kann es schon förmlich riechen. Diese salzige Brise die uns bereits umweht. Nach dem Check-in laufen wir Richtung Strand. Auf einmal eröffnet sich fĂŒr mich ein neuer Horizont. Ich sehe zum ersten Mal im Leben das Meer. Und das mit 22 Jahren. Bin so ĂŒberwĂ€ltigt. Sanft spiegeln sich die Wellen in der mittĂ€glichen Sonne. Die Brandung tönt wie Musik in meinen Ohren. Ein Schnellboot quert den Horizont. Wir gehen zu einer nahen Mole. Ich setze mich. Lass die Schönheit des Meeres auf mich einwirken. Freue mich wie ein Kind. Ja, jetzt habe ich das Meer auch gesehen. Und ich weiß. Ich werde in Zukunft noch oft ans Meer fahren. Ganz sicher.

Es wird einer meiner schönsten Urlaube. Wir kreuzen in den nĂ€chsten Tagen durch die Provence und Camargue. Wir sehen den eindrucksvollen Pont-du-Gard. Den Papstpalast zu Avignon. Genießen das sĂŒĂŸe und Treiben in der UniversitĂ€tsstadt Aix-en-Provence. Sehen in der Camargue zum ersten Mal Flamingos in freier Wildbahn. Unvergesslich wie sie sich dann sammeln und vor Sonnenuntergang in Formation der Sonne scheinbar entgegenfliegen. In der NĂ€he die weißen Camarguepferde. Der Wind pfeift ĂŒber die steppenhafte Landschaft.

Welch schöne Erinnerungen. Seither war ich oft am Meer. An allen Ozeanen. Einmal, es war am Pazifik in Kalifornien, entdecken wir zufÀllig eine Bucht, in welcher sich Delphine tummelten. Da kamen mir wieder die Flamingos in Sinn. 15 Jahre danach.

© Walter Tiefenbacher 2020-12-07