von Georg Weidinger
Ich kann mich gut erinnern, dass ich das Patientenpärchen als letzte meiner Patienten an diesem Mittwoch, es war so gegen 19 Uhr 30, behandelt habe. Ich kann mich auch erinnern, dass ich sie beide zur Tür gebracht habe, noch ein Scherz nach dem anderen auf den Lippen. Auch kann ich mich noch wage an deren beider Namen erinnern, zumal ich sie nie wieder gesehen habe. Ich erinnere mich des Weiteren, die Türe hinter ihnen abgeschlossen zu haben und zurück in meinen Behandlungsraum meiner damaligen Arztpraxis gegangen zu sein. Dann endet meine Erinnerung schlagartig.
„Herr Kollege!!! Wachen Sie auf!!! Kommen Sie!!! Wenn Sie nicht aufwachen, muss ich Sie intubieren …!“ Bei dem Wort INTUBIEREN der nervösen jungen Kollegin war ich schlagartig wieder wach. Als Notarzt weiĂź ich um dessen Komplikationspotential … Der Notarztwagen brachte mich in die Erstversorgung des Wilhelminenspitals.
Das zweite Mal erwachte ich etwa gegen zwei Uhr in der Früh. Ich erkannte meine Lage, stoppte die laufende Infusion, entfernte den Venflon, schlüpfte so leise wie möglich in mein Gewand, ging auf die Toilette und wollte dort durch das Fenster verschwinden. „Herr Doktor Weidinger, sind Sie da drinnen?“, die Worte von vor der Klotür der diensthabenden Assistenzärztin. „Ja, ich komme schon!“ Die Kollegin erkannte mit einem Blick die Situation. „Kommen Sie. Ich mach Ihnen einen Kakao und dann reden wir. Es ist ein ruhiger Dienst. Ich habe gut Zeit!“
Am Ärzteschreibtisch angekommen brach es aus mir heraus, all der Stress der letzten Monate, bis zu 14 Stunden pro Tag non stopp Patienten in meiner Praxis, nur die schwersten Fälle, ich immer die letzte Hoffnung, dann noch der Vermieter meiner Praxis, der sich in meine damalige Freundin verliebt hatte und mich deshalb delogieren wollte, dann noch die Scheidung, die Geldsorgen und dass ich gerade als U-Boot in meiner eigenen Praxis lebte, da ich nicht wusste, wohin.
Die Kollegin hatte zwei offene Ohren und ein großes Herz. Sie bat mich, noch bis zur Morgenvisite zu bleiben, mich auszuruhen und dann den nächsten Schritt zu entscheiden. Und so legte ich mich wieder auf die Behandlungsliege mit den weißen Paravents links und rechts und schlief bis 7 Uhr.
Ich zog mich an, nahm vor dem Bett Platz und wartete auf die geplante Konsultation des Psychiaters. Er kam wie versprochen um 7 Uhr 30. Ich hatte meine Fassung wieder gefunden und konnte ihn in meiner professionellen Art innerhalb von 5 Minuten davon überzeugen, dass ich vollkommen gesund und nicht im geringsten Burnout-gefährdet war. Die darauffolgende Visite war dann nur noch Formsache.
Ich verließ das Krankenhaus und ging zu Fuß zu meiner Praxis am Reumannplatz mit der Absicht, einfach weiter zu arbeiten. Direkt vor dieser wartete Tom, mein langjähriger Studiumsbegleiter und bester Freund. „Wo willst DU denn hin?“, fragte er. Er sah meine Antwort in meinen Augen. „Nichts da! Du kommst mit mir mit!“
Und so landete ich in der Psychiatrie des Wiener AKH …!
© Georg Weidinger 2019-12-21