Zwei Bier auf ex im Hotel Adlon

Jökull

von Jökull

Story

Die Suche nach einem Ort zum Verweilen endet hinter dem Brandenburger Tor. Die Terrasse des ehrwürdigen Adlon ist durch eine rote Kordel vom Gehweg getrennt. Sie befindet sich an der Ecke des Grand-Hotels. Ein Platz dort ist sehr begehrt. Von hier kann den Blick auf den Boulevard Unter den Linden und auf den Pariser Platz genießen. Laut Getränkekarte kostet ein Glas Hefeweizen 7,50 Euro. Das sollte unser Budget wohl leisten, zumal allein der Blick unbezahlbar ist.

Die junge Bedienung platziert uns an einem Tisch mit Blick auf den Pariser Platz. Die Bestellung wird aufgenommen und das Bier und ein Radler an den Tisch gebracht.

Hinter uns kommt Unruhe auf. Offensichtlich ein Scheich mit seinen Frauen und Kindern ist im Begriff des Aufbruchs. Er lässt einen seiner Leute der Bedienung die Kreditkarte reichen. Schon länger fährt ein Luxus-Van mit Diplomatenkennzeichen um den Block. Der Chauffeur wartet auf ein Zeichen der Leibwächter. Diese wiederum sind auf Tuchfühlung zu ihrem Chef und lassen den Fahrer wissen, dass es nun so weit ist. Zusammen mit den Sicherheitsleuten des Hotels haben sie das Trottoir im Blick. Der Scheich mitsamt Gefolge steigt ins Fahrzeug. Die Bodyguards halten dezent Abstand. Sie folgen ihrem Chef in einem anderen Fahrzeug.

Wir widmen uns nun den Getränken. Die Bedienung räumt den vom Scheich verlassenen Tisch ab und richtet ihn für neue Gäste her. Ein Paar mittleren Alters besetzt den Tisch in der vorderen Reihe. Offensichtlich auch wegen des Blicks auf die Linden und den Pariser Platz. Die Serviererin nimmt die Bestellung entgegen. Sie geht ins Gebäude, um die Getränke aufs Tablett zu stellen. Die Sicherheitsleute des Adlon haben sich ebenfalls ins Innere zurückgezogen. Nachdem der Scheich das Hotel verlassen hat, machen sie wohl eine Pause.

Die Kellnerin bringt die Getränke an den Tisch des Paares. Auf dem Weg zurück an die Bar fragt sie uns, ob alles recht ist oder sie noch etwas bringen darf. Wir kommen ins Gespräch und lassen sie wissen, dass wir sie beneiden.

„Warum denn das?“

„Nun, wegen des ebenso schön gelegenen wie interessanten Arbeitsplatzes.“

„Oh, vielen Dank.“

Während sie drinnen zu tun hat, nähert sich auf der Promenade ein angetrunkener Obdachloser. Unversehens spricht er das Paar am Ecktisch an. Das scheint sich in seiner angeregten Plauderei gestört zu fühlen. Dem Bettler tritt ziemlich laut und fordernd auf. Offensichtlich ist ihm an einer finanziellen Spritze für den nächsten Drink gelegen. Der Mann am Tisch weist in Gesten und Worten das Ansinnen zurück. Die Worte der Beiden können wir nicht verstehen.

Blitzschnell greift sich der zurückgewiesene Bettler nach dem vollen Bierglas des Mannes. Ebenso schnell schluckt es auf ex hinunter. Dann nimmt er sich das Glas der Frau und befördert den Inhalt im Rekordtempo durch die Kehle. Es folgt ein Rülpser. Mit dem Handrücken wischt er sich den Schaum vom Bart. Wortlos verlässt er den Ort des Geschehens.

© Jökull 2021-02-04

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