Zweitausendeins

Wolfgang Bremer

von Wolfgang Bremer

Story
Hamburg 2010 – 2024

Bob Dylan und Zweitausendeins, das ist für mein Leben wie Romeo für Julia. Für immer verbunden.

Zweitausendeins, der Laden und der Versandhandel. Sehr preiswerte Platten und Bücher gab es dort. Einfach richtig billig. Oder besser gesagt: Sehr viel Ware für sehr wenig Geld. Regelmäßig angepriesen durch den Katalog, den die Leute dort Merkheft nannten. Auf seinem superdünnen Papier extrem eng und klein gedruckt. Eben Masse. Aber was für eine!

Jedes Auslaufbuch und Mängelexemplar – heute würde man das alles modernes Antiquariat nennen – wurde individuell derart angepriesen, als könnte es die Welt retten. Und der Käufer mit seinem Kauf gleichfalls auch.

Hinten drin im Merkheft fand sich immer ein kurzer Artikel von Frau Suhsemihl, die über die Jahre hin Kultstatus gewann. Sie war die Chefin der Versandabwicklung oder so. Ihre Texte am Ende eines jeden Merkhefts lasen wir ganz genau. Und taten, was sie uns vorschlug …

Man kaufte aber nicht im Versand, sondern man ging in die Läden, soweit sie erreichbar waren. In Hamburg war das der Laden im Grindelviertel bei der Uni an der Ecke Rentzelstraße. Dort hatten sie alles! LPs und Bücher, stapelweise und unglaublich preiswert. Leer ging man dort fast nie aus. Und entdeckte bei jedem Besuch – und das war das Eigentliche – immer wieder Aufregendes und Neues. Die Filme von Eric Rohmer, François Truffauts Briefe, Leonard Cohens Romane und – natürlich – fast alles von Bob Dylan. Sein merkwürdiges Buch Tarantula, das 1971 erschienen war, und seine Songtexte in immer neuen, erweiterten Ausgaben. Anfang 1979 eine Biographie über ihn, von Zweitausendeins selber als Verlag im Taschenbuch herausgegeben. Und natürlich seine Musik. Seine Alben, zunächst auf Vinyl, später als CD.

Genau erinnere ich mich daran, wie ich dort Ende der Siebziger- oder Anfang der Achtziger-Jahre für ein paar D-Mark seine LP Planet Waves von 1974 gefunden habe. Diese Platte war bis dahin völlig an mir vorbeigegangen. Ich legte sie zu Hause auf und stutzte: Ein Song war dort zweimal drauf, das hatte ich bis dahin noch nicht erlebt. Zwei ganz unterschiedliche Versionen, das musste etwas Besonderes sein. Heute würde man sagen: eine Plugged und eine Unplugged-Version. Von einem Song, der von diesem Augenblick an zu einem der schönsten Songs aller Zeiten für mich wurde: Forever Young. Wenn er auch nicht an den für mich größten Song von Dylan und überhaupt herankam: Like a Rolling Stone.

Erfrischend jung blieb Zweitausendeins und die Läden noch viele, viele Jahre, bis dann eines Tages nach unzähligen Besuchen, Einkäufen und stolzen Errungenschaften nach und nach alles dichtgemacht wurde. Zuerst der Hamburger Zweitladen in den Colonnaden, dann der in der Berliner Kantstraße, dann der Stammladen in der Hamburger Uni-Gegend. Was bei mir große Trauer auslöste.

Aber eines ist klar: In der kollektiven Erinnerung meiner Generation ist ein grandioser Dauer-Ehrenplatz für Zweitausendeins eingerichtet. Für immer.

© Wolfgang Bremer 2024-03-05

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