von Andrea Krist
Zweiter Frühling. Der Klassiker, den viele Paare erleben. Spätestens dann, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Das eine Pärchen erlebt den zweiten Frühling während einer Weltreise, das nächste Paar übersiedelt dafür aus dem Osten Österreichs in ein westliches Bundesland. Haarfarbe, Körperfülle und Namen der jeweiligen Protagonist*innen unterscheiden sich im Idealfall markant voneinander.
Wozu also die geneigte Leserschaft mit meinem zweiten Frühling langweilen? Den ich – nebenbei erwähnt – tatsächlich gerade mit meinem Mann erlebe. Kinder aus dem Haus. Großes Haus. So unendlich viel Platz für uns, weniger Wäsche, weniger Dreck, der Geschirrspüler läuft nur mehr einmal in der Woche statt täglich. Der Kühlschrank bleibt tatsächlich mehrere Tage gefüllt und ist nicht innerhalb eines Tages leergeräumt.
Zeit für Gespräche bei Kerzenschein, Kartenspielen, alles dreht sich um uns. Faul auf der Couch liegen und lesen, Zweisamkeit beim Spaziergang mit dem Hund. Herz was willst du mehr?
Tja, mein Herz wollte mehr. Eine nicht zu benennende Sehnsucht trieb mein Herz zu unglaublichen Dingen an. Raus aus dem kleinen, gut gehenden Familienbetrieb flog es hin zu Menschen. Fand in den Begegnungen mit Jugendlichen und später bei der Begleitung unheilbar Kranker seinen Frieden und Glückseligkeit.
Und wo ist da jetzt der zweite Frühling?
In der Mitte meines Lebens erlebe ich meinen zweiten Frühling gerade mit mir selbst. Kann mich so annehmen, wie ich bin; freue mich jeden Tag, wenn ich mich im Spiegel entdecke und gratuliere mir zu meinem Da-Sein.
In der Mitte meines Lebens erlebe ich – dank meines Herzens, das mir vor zehn Jahren vorauseilte – einen Menschen, der die meiste Zeit in sich ruht und sich selber gerne hat. Einen Menschen, der sich sympathisch ist und gerne mit sich Zeit verbringt. Konnte meine eigenen engen Grenzen sprengen und die Vernunft weiterhin vernünftig sein lassen. Das ist ja schließlich die Aufgabe von Frau Vernunft. Stattdessen vertraute ich mich ganz meinem Herzen – meiner inneren Stimme – an und folgte dieser Stimme.
In der Mitte meines Lebens erlebe ich meinen beruflichen zweiten Frühling und kann endlich meiner Berufung folgen. Dafür bin ich jeden Tag dankbar.
Manchmal braucht es Mut, steinige Wege zu gehen, Gefelsbrocken zu überwinden oder gar zu sprengen. Wenn man oder frau dabei immer wieder auf die Stimme des Herzens hört, lassen sich vermeintlich unüberwindbare Grenzen überwinden.
Ein Ankommen auf der schönsten aller Frühlingswiesen mit nackten Zehen im Morgentau ist das Geschenk.
© Andrea Krist 2023-02-19