Zwischen den Leben/ DREIZEHN

Georg Mühl

von Georg Mühl

Story
Hamburg

Der Lift stoppt hart. So hat er das immer getan. 4. Stock. Es ist der Vorletzte. In die Chefetage haben es in diesem Haus nur wenige geschafft. Genau genommen nur zwei: Armin und Claus. Wieder muss Paul den Transponder-Dings-Kopf an die Türschnalle halten, um sie zu öffnen. Paul geht in das dunkle Stockwerk. Auch wenn er sollte, er schaltet kein Licht an. Es reichen ihm die Schilder, die den Notausgang weisen. Das grüne Licht. Das weiße Männchen auf grünem Grund, das in einfachster Grafik, fluchtartig zu einer weißen Tür ins Nichts rennt. Wie oft hat er auf diese Männchen gestarrt und sich gewünscht, er wäre es. Einfach aufspringen und rennen. So schnell ihn seine Strichmännchen-Beine tragen. Die Umrisse der Büromöbel heben sich nur leicht von dem satten schwarz der Dunkelheit ab. Zart umspült von den Blinkenden roten, blauen und grünen LED-Lampen, die den Ruhestatus von Bildschirmen, Kaffeemaschine, Kopierer, zugeklappten Laptops, inaktiven USB-Hubs und dem anderen überschätzen Elektro-Zeugs, das in so einer New Businessbude herumliegt, preisgeben. Seine Schritte sind ganz sanft, mit denen er über den geschliffenen Sichtbetonboden steigt. Paul hat das Gefühl er muss schleichen, obwohl er doch eigentlich noch jedes Recht dazu hat hier zu sein. Zumindest theoretisch. Er schleicht andächtig durch das Großraumbüro. Andächtig, wie ein Tourist, der eine altehrwürdige Basilika betritt und Angst davor hat, mit einer falschen Bewegung die Stille mit laut hallenden Störgeräuschen zu ruinieren.
Er merkt wieder, wie sehr er das Konzept von Großraumbüros hasst. Dieses Vorgaukeln von flachen Hierarchien; dieses On-Big-Family-Ding; dieses Work-hard-play-hard-Geschwafel. Nur, damit am Ende eh wieder alle dort sitzen, wo sie hingehört. Und alle glotzen einem immer sofort auf den Bildschirm. Sie überdecken den Kontrollwahn einfach mit sexy Trends und einem Tischfußballtisch. Nur, damit man für eine schnelle Information noch schneller beim Gegenüber ist; nur damit man jede Idee sofort rauskotzen kann, auch wenn sie noch so an den Haaren herbeigezogen ist und man auch sofort wieder halbfertige, gute Ansätze schon am Bildschirm zwischen Tür und Angel abgeschossen bekommt. Und natürlich das Telefonieren. Dieses verdammte, laute, egomanische Telefonieren von allen Seiten. Als ob sie sich gegenseitig und den Cheffitäten zeigen müssen, wer hier der lauteste, potenteste Hengst oder die toughste Stute ist. Leider sind es diesbezüglich sehr oft die Stuten. Dieses Telefonieren. Paul hat es immer wie ein Zahnarztbohrer leiden können. Vielleicht schleicht er deswegen so andächtig, weil er die Ruhe gerade unfassbar gut findet. Speziell hier, in dieser Markthalle des Ehrgeizes. Er geht vorbei an der Junioren-Ecke, die 3 großen Tischgruppen, an denen bis zu 8 Leute sitzen können. Auch jetzt, ohne Junior-Texter und Junior-Grafiker und Junior-Developper kann man den Angst-Schweiß und die verbrannten Seelen, die über die Jahre hier ihr Selbstbewusstsein opferten, um es wie Kadaver in der Savanne verrotten zu lassen, riechen. Der beißend-scharfe Gestank von falschem Ehrgeiz und gezüchtetem Killer-Instinkt. Auch Paul hatte vor vielen Jahren hier gesessen. Zwar in einer anderen Agentur, in einer ganz anderen Stadt, aber ein Teil davon riecht hier auch nach ihm. Zwei Schritte weiter beginnt der Mittelbau, dort, wo das Herz, die Nieren, die Leber und die Lunge der Firma sitzt. Unterschätzt. Unterbezahlt. Überarbeitet. Underfucked.

© Georg Mühl 2024-03-09

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Dunkel, Hoffnungsvoll, Traurig, Dark, Sad