Daniel berichtete Ben beinahe wie ein geübter Tourguide, dass es sich hier rund um das Ort namens Lauterbrunn um einen der beliebtesten Spots für Basejumper in der Schweiz handelte. Mit einem Mal starrte Ben noch beeindruckter an den steilen Klippen hinauf und stellte sich vor, wie imposant der Ausblick von dort oben sein musste. Unerwartet erregte noch etwas anderes seine Aufmerksamkeit und er reckte den Kopf neugierig aus dem Fenster. Zahlreiche kleinere und größere Wasserfälle rauschten in regelmäßigen Abständen an den steilen Felswänden hinab und erfüllten das Tal mit einem tosenden Donner. „Oh ja, die vielen Wasserfälle sind auch so eine Eigenart des Jungfrauengebiets“, plauderte Daniel weiter, der Ben´s erstaunten Gesichtsausdruck gedeutet hatte. Geblendet von der Sonne schirmte Ben sein Gesicht mit einer Hand ab und bemerkte dabei aus dem Augenwinkel, wie Daniel ihn mit einem amüsierten Schmunzeln von der Seite beobachtete. Sofort senkte er den Blick, um seine plötzliche Verlegenheit zu verbergen. Zu Ben´s Erleichterung stellt Daniel während der gesamten Autofahrt nur wenige Fragen über sein Leben. Stattdessen klärte er Ben ungefragt über die zahlreichen Freizeitmöglichkeiten in der Region auf. Von Ski- und Snowboard fahren in den Wintermonaten über Trekkingtouren, Rafting und Klettern bis hin zu Mountainbike-Touren und Schwimmen in türkisblauen Seen in der Sommersaison war rund um Interlaken einfach alles möglich. Auf diesem Fleckchen Erde schien die Welt wirklich noch in Ordnung zu sein. Die Art, wie Daniel über das Leben an der Eigernordwand sprach, verriet Ben, wie sehr sein Herz für die Schweiz brannte und er konnte bereits jetzt schon nachvollziehen, warum Daniel hier vor so vielen Jahren seine neue Heimat gefunden hatte. Mit einem Mal stellte Ben verblüfft fest, dass Daniel es mit seiner herzlichen Art tatsächlich geschafft hatte, dass Ben alle seine Sorgen und Ängste für einen Moment vergessen und sich sogar von seiner guten Laune hatte anstecken lassen. Dieser Mann besaß offensichtlich ein Talent dafür, Menschen mühelos für sich zu gewinnen. Der Tag hatte eine Wendung genommen, auf die Ben nicht vorbereitet gewesen war. Unter der Macht der Eindrücke hatte er sogar seinen unbändigen Hunger vergessen und musste zweimal überlegen, als Daniel ihn fragte, ob er Hunger mitgebracht habe. Erschrocken legt Ben eine Hand auf den Bauch, als sein Magen beim bloßen Gedanken an Essen unvermittelt laut zu knurren begann und quittierte Daniels Frage mit einem heftigen Nicken. Daniel konnte sich bei dieser eindeutigen Reaktion ein Lachen nicht verkneifen und erklärte, dass sie pünktlich zum gemeinsamen Mittagessen der Mitarbeiter am Schloss eintreffen würden.
© Tamira Schwanbeck 2025-02-11