Etwas hatte sich verändert.

Der Nordwind blies grausam durch die verdorrten Äste der kahlen Bäume. Eis ummantelte die dünnen Ärmchen, die schon lange keine Blätter mehr getragen hatten. Feine Sprenkel benässten die weiße Decke über den harten Baumrinden.

Etwas hatte sich verändert.

Unter ihren Schritten knirschte der Schnee, dessen Kälte sich unnütz versuchte in ihre nackten Füße zu fressen. Mit jedem Schritt fühlte sie ihren Unmut über ihre Immunität wachsen. Seine Grausamkeit würde sie an dem nächsten Opfer, das seinen Unterschlupf verließ, auslassen.

Etwas hatte sich verändert.

Ihre Augen schnitten durch die weiße Landschaft. Sie konnten keine Ungewöhnlichkeit feststellen. Vor ihr lag der Wald in all seiner Ruhe und Reinlichkeit.

Und doch hatte sich etwas verändert.

Die Art, wie der Wind ihr nicht wie gewöhnlich durch das Haar brauste, sondern es gar zu umspielen versuchte. Die Art, wie die graue Himmelsdecke sich langsam erhellte, als würde die triste Farbe aus ihr herausgewaschen werden. Sie blieb stehen und lauschte. Das Tropfen von Wasser. Das Knacken riesiger Eisschollen. Das Sprießen kleiner Pflänzchen, die sich wagten, durch die erdrückend weiße Decke an das Licht zu kämpfen.

Ein unsichtbarer Nebel befreite sich aus seinem Versteck und waberte über den kalten Boden. Sie roch ihn in der klirrenden Luft. Sie schmeckte ihn auf ihren kühlen Lippen. Sie fühlte es um ihre kalten Fingerkuppen knistern. Wie ein Mantel legte er sich um ihre Gliedmaßen, hüllte sie ein, zog sie hinunter um sie in sich aufzunehmen und zu ertränken.

Sie kannte dieses Gefühl nur allzu gut. Sie fürchtete es. Ihre Macht schwand vor ihren Augen dahin und sie konnte nichts tun, als zuzusehen, all ihre Kräfte zu sammeln und einen letzten vernichtenden Schlag auszuführen in einem Krieg, den sie niemals gewinnen konnte. Denn die Veränderungen konnten nur eines bedeuten: Ihre Schwester war auf dem Vormarsch. Mit grausamer Boshaftigkeit und einem Herzen aus kantigem Holz schritt sie voran und zerstörte ihr Lebenswerk ohne Erbarmen.

Sie fürchtete sich. Denn jedes Jahr begann sie mit dem Aufbau ihres kalten Reiches. Sammelte ihre Kräfte und erschuf ihre Armee aus Eis und Frost, um in dem Kampf zu schreiten. Und jedes Jahr verlor sie aufs Neue. Schwester Frühling kam und sie machte keine Gefangenen. Egal wie sehr der Winter tobte und schrie, stöhnte und ächzte, sie misshandelte und zerstörte, quälte und erdrückte ihre Schwester jedes Jahr aufs Neue. Doch der Winter gab nicht auf. Der Anblick ihres verdorrten und erfrorenen, ihrem reinlichen und ruhigen Werk war zu schön, zu verlockend, um aufzugeben und nicht zum Kampf anzutreten. Und trotzdem wusste sie, dass sie Schlachten gewinnen, doch den Krieg verlieren würde, denn sie würde es dem Schnee gleichtun und fallen.