“Happy Birthday, du süßer Maikäfer!”, rief Kaja ihrer Freundin Marie über die laute Musik im Club zu, umarmte sie stürmisch und beneidete sie insgeheim darum, dass Marie an ihrem Geburtstag immer in den Mai tanzen konnte. Obwohl sie Marie erst seit Kurzem kannte, fühlte sie sich ihr schon sehr verbunden. Sie war vor wenigen Wochen zur Zwischenmiete in das Zimmer von Maries Mitbewohnerin Hanna gezogen und fühlte sich seitdem sehr wohl bei Marie und ihrer Truppe. Kaja war mit ihren 24 Jahren zwar etwas älter als die Anderen, aber das merkte man ihr nicht an. Sie liebte es, mit ihnen jede Nacht durch die Clubs zu ziehen und tagsüber die neue Stadt zu erkunden.
Bevor Kaja hierherzog, war sie mit dem Rucksack durch Südostasien gereist, bis ihr das Geld und die Visa ausgingen. Während ihres Tourismusstudiums hatte sie das Reisen lieben gelernt und konnte seitdem nicht mehr damit aufhören. Es gab keinen Kontinent, auf dem Kaja nicht schon ein paar Monate oder sogar Jahre gelebt hatte. Doch jetzt war sie wieder in Deutschland und das Arbeitsamt hatte für den Antrag auf Arbeitslosengeld eine feste Adresse verlangt. Sie bereute den Umzug nicht, sie war froh, wieder hier zu sein. Aber zu ihren Eltern in ihre Heimatstadt zurückzukehren, war keine Option gewesen. Allein bei dem Gedanken stellten sich ihr die Nackenhaare auf.
Ein Arm schlang sich von hinten um ihre Taille und ließ sie überrascht erschauern. Sie hatte schon den ganzen Abend mit Matti geflirtet und freute sich über seine Aufmerksamkeit. Er war wirklich süß: groß, dunkelhaarig, mit vollen Lippen und einem trockenen Humor, der sie zum Lachen brachte. Wahrscheinlich jünger, aber das war egal. Sie hatte keine Lust, heute Nacht allein ins Bett zu gehen, und Matti offensichtlich auch nicht. Sie tanzten eng umschlungen, was bei den Technoklängen gar nicht so einfach war. Gerade als Kaja sich zu ihm drehte, um ihn zu küssen, griff er nach seinem Handy und entschuldigte sich mit einem besorgten Gesichtsausdruck.
Kaja holte sich an der Bar noch ein Bier. Inzwischen spürte sie den Alkohol schwer in ihrem Blut, aber sie wollte nicht aufhören, noch nicht. Als Matti nicht zurückkam, wandte sie sich an die Anderen, aber niemand wusste, wo er war. Sie hatten keine Nummern ausgetauscht, und die Freunde, die geblieben waren, kannten Matti nicht gut genug, um ihr helfen zu können. Enttäuscht ging Kaja mit Marie an der Hand aus dem Club. Die kühle Nachtluft traf sie wie ein Schlag, als sie sich auf den Asphalt fallen ließ. “Oh Mann, war der süß! Ich bin echt traurig, dass er weg ist”, sagte Kaja und zog einen Schmollmund. “Ihr wart echt süß zusammen. Schade, dass ich seine Nummer nicht habe”, sagte Marie bedauernd. Dann zögerte Marie kurz und hob den Kopf: “Aber ich weiß, wo er wohnt!”, rief sie grinsend und zog Kaja auf die Beine: “Du könntest ihm einen Zettel in den Briefkasten werfen!” Genau für diese Energie liebte Kaja ihre neue Freundin. Lachend legte sie einen Arm um Marie und sah sie verschwörerisch an: “Ich habe eine bessere Idee!”
© Anja Irlenbusch 2024-05-10