Es war so warm, dass ich mich ausziehen und mir die Sonne anziehen wollte. An diesem Ort war ich am liebsten nackt. Die war ich am liebsten. Diese neue Frau, die sich nichts sagen ließ, die endlich entschied, wer sie sein wollte. Diese Reise hatte mich Überwindung gekostet. Es hatte sich angefühlt, als hätte jemand an mir gezogen. In der Heimat hatte ich mich zuletzt fremdbestimmt gefühlt wie eine Marionette. Jetzt war Schluss damit!, dachte ich und schnitt die Fäden durch. Ende im Gehänge. Das Püppchen kann jetzt gehen. Irgendwie fühlte sich jeder Tag jetzt an, als würde ein Stück Faden verbrennen. Als käme ich dem Boden endlich näher. Denn genau da gehörte ich hin – auf den Boden unter meinen Füßen.
Ich liebte diese Tage, an denen ich niemandem etwas schuldig war. Ich musste niemandem etwas erklären, mich für nichts schämen und nichts tun, was ich nicht wollte. Ruhig lebte ich in jeden Tag hinein. Die Tage richteten sich nach mir, anstatt ich nach ihnen. Hier hatte ich das Gefühl, ich könnte die Sonne, das Meer und den Himmel berühren. Ich wollte mich in den Ozean des Lebens hineinwerfen, mich in den Himmel träumen und unter warmen Bäumen schlafen. Die langen Äste fühlten sich an wie meine verlängerten Arme, während ich den zarten Wind atmete, der ihre Blätter knistern ließ. Mit jedem Schritt, den ich auf den bergigen Felsen machte, hatte ich das Gefühl, ein Stück zu wachsen. Ich wollte immer größer werden. Als ich die Augen schloss, glaubte ich, in den Wolken zu liegen. Da war sie endlich, die Verbundenheit, nach der ich mich so lange gesehnt hatte. Nur hätte ich nicht gedacht, dass ich sie in und auf der Welt selbst fand, anstatt in einem anderen Menschen. Die Antworten standen tatsächlich im Sand geschrieben. Der Sand in meinen Händen erinnerte mich an all die Gedanken, die ich verschwendet hatte, anstatt sie zu einem kleinen Schloss zusammenzufügen, in dem mein Geist in Ruhe hätte wohnen können. Die kleinen glitzernden Körner rannten mir durch die Finger, wie all die Möglichkeiten, die ich nie genutzt hatte. Aus vermeindlicher Substanz wurde Leere – wie bei den Gedanken. In Wellen fuhr das Meer über mich. Es schmiegte sich wie eine Decke an meine Haut. Es fühlte sich so vertraut an. Ich fühlte mich ganz glücklich und frei, ganz leicht. Wie am Anfang von allem.
Ich spazierte gerade über einen langen Steg, der ins Meer führte, als ich eine Frau am Ende des Stegs entdeckte. Sie stand am Rand des Stegs, da wo er das Meer berührte und schaute in die Ferne. Links hinter ihr lag eine Decke, die sie mit ihren Sandalen an den Enden auf dem Holz befestigt hatte. Auf der Decke lag ein Jutebeutel, daneben stand eine Thermoskanne. Als ich näher kam, konnte ich ein aufgeschlagenes Buch erkennen, das jetzt zu flattern anfing wie ein Daumenkino. Ich erkannte zwischen ihr und der Decke ihren Schatten auf dem Holz und fragte mich, ob sie wohl auch etwas hinter sich lassen wollte.
Das Holz unter meinen Füßen knarrte ein bisschen, da drehte sie sich um und lächelte nicht.
© Delia Meister 2022-03-28