10. Auf zu neuen Gipfeln

Christina Narval

by Christina Narval

Story

Durch die Bearbeitung der Situation und Neueinordnung in mein durchgeschütteltes Weltbild habe ich neue Perspektiven gefunden und damit neue Kraft, den Weg in Angriff zu nehmen. Ich habe mich mit der Idee angefreundet, das Drachenland zu erkunden. Jetzt kann ich starten. Auf zu neuen Gipfeln! Aber wohin sollen wir überhaupt gehen?

Auch Alice war überrascht, als sie sich plötzlich im Wunderland wiederfand. Da traf sie auf die Grinsekatze und fragte, wohin sie nun gehen solle. „Das hängt davon ab“, antwortete die Katze, „wo du ankommen möchtest.“ Aber Alice hatte kein Ziel. „Egal“, sagte sie, „solange ich irgendwohin komme.“ Die Grinsekatze grinste: „Dann ist es auch wirklich egal, welchen Weg du einschlägst.“

Egal, was wir tun, wir kommen immer irgendwohin. Aber ob das auch ein Ort ist, an dem wir gerne sein möchten, sei dahingestellt. Führung übernehmen heißt die Richtung angeben. Das Ziel heißt es aber erst zu definieren. Es ist unser individuelles Ziel. Es gibt keine universell richtigen, keine einfachen, eindimensionalen Lösungen.

Der erste Anhaltspunkt ist die Diagnose selbst. Es ist wichtig, sich so viel Information wie möglich darüber zu besorgen und sich damit so viel Wissen wie möglich über Ursprung, Symptome, Verlauf, Ausprägungen, Therapiemöglichkeiten etc. anzueignen. Nicht weil dies alles genau auf unser Kind zutreffen wird, aber weil ich damit das neue Terrain vermesse. Ich weiß, wie das Land vor mir ausschauen kann. Dann suche ich, wo ich mich darin befinde. Denn jeder Mensch ist ein Unikat, und jede Familie hat ihre eigenen Rahmenbedingungen. Daher kann die Diagnose allein noch keine Wegbeschreibung sein, nur ein Richtungsweiser. Was bedeutet die Diagnose ganz spezifisch für mein Kind, für die Geschwisterkinder, für mich selbst, für meinen Partner, für uns als Paar, für uns als Familie? Diese Differenzierung darf jede Familie selbst für sich ausdiskutieren. Durch Beobachten, Ausprobieren, Evaluieren und Anpassen lernen wir die Situation zu erkennen, zu verstehen und richtig einzuschätzen.

Im Kontext unserer Familie haben wir es mit einem sehr komplexen System zu tun. Leider sind wir dafür nicht gut ausgebildet. Schon in der Schule wird die Welt in voneinander getrennten Fächern gelehrt, die miteinander nichts zu tun zu haben scheinen. Im Leben hängt aber alles zusammen. Wenn ich alles Streben und alle Aufmerksamkeit allein auf das Kind mit Diagnose fokussiere, werden bald die Geschwisterkinder auffällig, meine Beziehung zum Partner bröckelt, und ich selbst verliere meine Eigenständigkeit. Wenn ich zwar jedes Kind einzeln, aber isoliert von den anderen fördere, leidet unsere Verbindung zueinander. Wie gehen die Geschwister mit der Situation um? Wie können sie miteinander interagieren und Verständnis aufbauen? Wie finden wir als Familie Zusammenhalt, unsere Identität nach innen wie nach außen?

Je klarer ich mein Ziel sehe, desto mehr Zuversicht entsteht. Nachdem unsere ursprünglichen Karten nicht mit der Realität übereinstimmten, beginnen die Dinge langsam wieder miteinander in Einklang zu kommen. Wir erkennen die Sterne und richten den Kompass nach ihnen neu aus.

© Christina Narval 2024-03-05

Genres
Self-help & Life support
Moods
Herausfordernd, Emotional, Hoffnungsvoll, Inspirierend
Hashtags