by Auriga
Sobald wir uns hingesetzt hatten, reichte ich ihr mein Geschenk. Vorsichtig, um nicht das Geschenkpapier zu zerreißen, öffnete sie es. Mit offenem Mund schaute sie das Bild an, welches ich auf den Rücken der Jeans Jacke gemalt hatte. Es waren zwei Menschen, an einem See, die beobachten, wie der Sonnenaufgang langsam den Sternenhimmel vertrieb. “Danke.” Sie umarmte mich feste. “Für alles.” “Gern geschehen”, murmelte ich in ihr Haar. “Aber den Dank kann ich nur zurückgeben.” “Wieso?”, fragte sie nur verwirrt. “Du bist immer da, wenn ich jemand brauche, der mich versteht.” Mein Finger strich über den Pullistoff, der die Verbände versteckte. “Und hilfst mir dabei Gründe zu finden, zu bleiben.”
“Das wusste ich nicht.” Mitfühlend lehnte sie ihren Kopf an meine Schulter. “Aber versprich mir, dass du nicht nur meinetwegen bleibst. Ich kann dir nicht versprechen …” Sie wurde still, doch ich wusste genau, was sie sagen wollte. “Keine Sorge. Du bist nicht der einzige Grund. Du weißt ja, dass ich es einmal … nun ja, es fast geschafft hätte. Ich weiß, dass ich noch nicht fertig mit meinem Leben bin, aber an manchen Tagen, wirken Gefühle und Gedanken stärker als Logik.”
So saßen wir einfach da. Im Dunkeln. Zwei Seelen, geplagt von den Schatten ihrer Welt. Sie erzählte mir mehr von ihrem Bruder. Wie die Diagnose eines Psychologen dazu führte, dass die Lehrer ihn anders behandelten. Wie seine Mitschüler genau wussten, welche Knöpfe sie bei ihm drücken mussten, um eine bestimmte Reaktion hervorzurufen. Weshalb er deshalb immer so geladen von der Schule kam und es schwierig für ihn war mit den ganzen Reizen überall klarzukommen. Manchmal alles einfach zu viel ist und er einfach explodiert. Ich verstand endlich auch, weshalb Layana nicht zu einem Psychologen wollte. Ihre Eltern wollten sie einfach nur davor schützen, was ihrem Bruder widerfahren war.
“Es ist so schwer … ich weiß, dass er es nicht mit Absicht macht. Er meint es auch nicht böse. Aber es tut weh. Und an manchen Tagen ist es so schlimm, dass das Einzige, woran ich denken kann ist, ihn zu verletzen. Ihn anzubrüllen. Ihn zu schlagen. Es macht mir Angst Jake. Ich habe Angst vor mir selbst und dem, was ich tun könnte. Was ist, wenn ich mich eines Tages nicht kontrollieren kann? Ich weiß genau welche Knöpfe ich drücken müsste, um ihn tief zu verletzen. Das Einzige, dass mich in solchen Momenten ablenkt sind Schmerzen.” Glitzernde Streifen bildeten ein Muster auf ihren Wangen. Ich legte meinen Arm um sie und sie ließ sich noch tiefer, in die Umarmung rutschen.
Ich erzählte ihr von meinen Schatten. Wie einem an manchen Tagen die Energie fehlen konnte überhaupt nur aufzustehen. Wie Dinge, die einem eigentlich Spaß machen sollten, so unglaublich anstrengend wirkten. Wie die Welt an manchen Tagen einem einfach als ‘zu viel’ erscheint.
“Es fühlt sich manchmal so an, als wäre mein Leben ein Film und ich bin einfach nur der Zuschauer. Handlungsunfähig. Ich kann nicht eingreifen.” Ihr Kopf lag noch immer auf meiner Schulter.
“Manchmal wirkt das Leben einfach nicht lebenswert.”
© Auriga 2023-08-23