11: Blumenmädchen

Sabine Knauf

by Sabine Knauf

Story

Draußen war es kalt, also zog ich meine Lederjacke enger um meinen Körper. Die frische Nachtluft tat mir gut, sie ließ meine Lebensgeister allmählich zurückkehren. Angetrieben von neuer Energie lief ich los. Meine Zimtschnecken riefen nach mir. Ich musste mich beeilen, bevor der Laden schloss. Denn eines stand für mich fest: Wenn ich nicht gleich meinen nach Zimt schmeckenden Seelentröster bekomme, laufe ich Amok. Je näher ich der Bäckerei kam, desto intensiver glaubte ich den Duft von frischem Gebäck wahrzunehmen. Natürlich bildete ich mir das nur ein – um diese Uhrzeit wurde längst nichts mehr gebacken. Trotzdem lief mir das Wasser im Mund zusammen. Doch als ich mein Ziel erreichte, holte mich die Realität mit voller Wucht ein. Der Verkaufsraum lag im Dunkeln. Nur die Fenster im oberen Stockwerk waren hell erleuchtet. Seufzend wandte ich mich ab. Ein Blick auf meine Armbanduhr erklärte alles. „Kein Wunder, dass der Laden geschlossen hat. Es ist fast zehn.“ Mein eigener Gedanke brachte mich erneut zum Seufzen. Es machte keinen Sinn, noch länger hierzubleiben, also beschloss ich, nach Hause zu gehen. Heute gab es keine Zimtschnecken für mich. Aber morgen – morgen würde ich sie mir holen. Ich hatte sie mir verdient. Gerade wollte ich mich in Bewegung setzen, als ich eine Stimme hörte, die mir in den letzten Monaten sehr vertraut geworden war. „Hi, Blumenmädchen. Was machst du denn hier?“ Vor mir stand Leif, der Inhaber der Bäckerei. Ich lächelte. Ohne seine Arbeitskleidung hätte ich ihn fast nicht erkannt. Seine blonden, langen Haare hatte er zu einem lockeren Zopf gebunden. Obwohl er nur einen schwarzen Hoodie und eine dunkle Jogginghose trug, stand ihm das Outfit hervorragend. Ich wollte seine Frage nicht unbeantwortet lassen. „Ich hatte gehofft, du hast noch ein paar Zimtschnecken für mich übrig.“ Leif grinste. „Es ist fast zehn Uhr, und ich habe seit einer Stunde geschlossen.“ „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Mehr brachte ich nicht heraus. Der Abend hatte mir all meine Kraft abverlangt. Leif musterte mich einen Moment lang. „Bist du in Ordnung?“ Erschöpft zuckte ich die Schultern. Eine endlos lange Pause entstand, bevor ich schließlich antwortete: „Nicht wirklich. Deshalb wollte ich mir bei dir etwas für die Seele holen. Ich brauche dringend gute Laune.“ Er sagte nichts. Mir kam es so vor, als würde er über etwas nachdenken. Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, brach er die Stille. „Blumenmädchen, ich mache dir einen Vorschlag – aber nur, weil du es bist.“ Sein Blick war ernst, aber warm. „Ich lege heute eine Extraschicht ein und backe dir ein Blech Zimtschnecken. Als Gegenleistung erzählst du mir, welche Laus dir über die Leber gelaufen ist.“ Plötzlich war mein Lächeln zurück. „Es war nicht nur eine Laus …“ Ich zögerte. „Aber wenn dich mein Gejammer nicht stört, nehme ich dein Angebot liebend gern an.“ Leif winkte ab. „Es stört mich nicht. Also, los – komm mit! Es dauert ein bisschen, bis deine heißgeliebten Zimtschnecken fertig sind. Lass uns keine Zeit verlieren.“ Bevor ich ihm folgte, verspürte ich das dringende Bedürfnis, mich zu bedanken. „Ich danke dir, Leif.“ Er zuckte mit den Schultern. „Alles gut. Für das Blumenmädchen von nebenan mache ich das gern. Du bist schließlich meine beste Kundin.“

© Sabine Knauf 2025-07-02

Genres
Novels & Stories