by Kristin Metz
Dass wir durch die Musik unsere Gefühle und Gedanken ausdrückten, wurde innerhalb der nächsten Tage und Wochen eine Selbstverständlichkeit, durch die wir uns immer besser kennenlernten. Es war eine Sprache, die wir beide problemlos sprechen konnten. Die Gefühle des anderen zu erhören, war zwar schwer, doch mit der Zeit wurden wir immer besser. Immer wenn wir uns sahen, beantworteten wir zunächst die Frage, wie es uns ging, bevor wir weiter musizierten oder uns mit der Übersetzungs-App unterhielten.
An diesem Tag hattest du jedoch etwas vorbereitet.
Als ich mich neben dich setzte, blicktest du mich mit funkelnden Augen an und man konnte dir direkt ansehen, dass du etwas vorhattest. In meinem Kopf stellte ich mir sofort wieder jegliche Fragen, die ich jedoch beiseite schob. Es war offensichtlich, dass es sich um nichts Böses handelte.
“Hallo.”
Du hattest einen sehr starken Akzent und das Wort ging dir schwer über die Lippen, aber man sah wie stolz du warst. Es war nur ein einziges Wort, doch es zauberte mir ein ziemlich breites Lächeln auf die Lippen. Irgendwie war das schon süß.
“Hallo”, gab ich zurück und wir fingen an zu lachen. Es war schon komisch, da wir uns sonst immer ohne direkte Worte verständigten. Aber es war etwas Neues. Etwas Spannendes. Vermutlich lag es nur an unserer normalen Art und Weise uns zu unterhalten, doch es war schön. Es war mal wieder eine neue Seite, die ich von dir kennenlernte.
Einige Minuten später spieltest du auf dem Flügel erneut das Lied, welches ich nun auch lernte, und in mir stieg ein Reiz auf einfach mitzuspielen. Ein Duett war so spontan für Unerfahrene vielleicht schwer und konnte in einem völligen Chaos münden, doch ich entschied mich dafür. Also legte ich meine Hände auf die Klaviatur, gab dir zu verstehen, dass du einfach weitermachen solltest und stieg schließlich in das Stück mit hinein.
Wie erwartet klang es an vielen Stellen absolut furchtbar und das Tempo änderte sich alle paar Sekunden, aber es machte ungemein Spaß und wir mussten immer wieder Lachen, wenn wir Fehler machten. Es war ein schönes Gefühl und ich nahm mir vor sowas mit dir öfter zu machen, falls du wolltest. In deinen Augen war jedoch ein so wunderschönes Leuchten, dass ich mir sicher war, dass wir das nochmal wiederholen würden.
Ich fühlte mich so frei, dass ich in diesem Moment an nichts Negatives denken konnte. Weder an die Gewalt, die dir angetan wurde, noch an meinen stressigen Alltag, der mich oft bedrückte und deprimierte. In mir tobte reine Freude, die mich erfüllte. Was sollte schon passieren? Wenn man zusammenhielt – so wie wir in diesem Stück -, konnte nichts passieren, was wir nicht zusammen überstehen konnten.
Doch dieser Tag war die Ruhe vor dem Sturm.
© Kristin Metz 2024-03-31