11. Lebend wieder rausgekommen

Moritz Rauter

by Moritz Rauter

Story

Ausdünstend vor dem Weidinger stehend, rang ich nach atmenswerter Luft. Meine Lunge fühlte sich wie ein stark überhitztes und in sich verschmolzenes Kabelsammelsurium an. „Ich habe eine Nachricht für Kurt!“, gab ich dem Kellner mit schwarzer Fliege am weißen Hemd ruhig und bemüht zu verstehen. Kurt sei aber mit seiner Freundin gerade auf dem Weg nach Italien, um sich „zu erholen“, hieß es. Nächste Woche, da rechne man wieder mit ihm. Ich hatte also noch eine ganze Woche Zeit, um mich auf ein mögliches Treffen, auf einen eventuell intellektuellen Austausch, vielleicht sogar auf eine darauffolgende gemeinsame Verschmelzung, ja sogar auf eine zukünftige Freundschaft galaktischen Ausmaßes vorzubereiten. Erhobenen Hauptes zog ich weiter Richtung heimwärts. Vor dem Zubettgehen schloss ich die Wohnzimmerfenster, damit mein mit hoheitlichem Bedacht eingerichteter Schrein nicht vom Regen bedrängt werde. Meine Vorbereitung auf die Ankunft startete im Hier und Jetzt. Dem blasphemisch wirkenden Kellner schenkte ich kein Vertrauen, sondern war einzig und alleine nur von meinem Glauben überzeugt. „Ich glaube an Kurt, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Nirvanas und des Himmels. Meinen täglichen Pennyroyal gebe ich mir. Ich sorge für Sauberkeit, bevor du erscheinst. Bin endlos und namenlos nur. Vergewaltige mich, denn du weißt, dass du recht hast. Die fünf Säulen des Nirvanas, sie leiten mich durch einen jeden neuen Tag. Bleach, Nevermind, Incesticide, In Utero, Unplugged!“ Zweimal am Tag, immer einmal morgens und einmal abends, trat ich meine unumstößliche Pilgerreise in Richtung Weidinger an. Zwischen meinen zwei alltäglichen Odysseen konnte ich mir legitimerweise fünfmal täglich den Revolver an die Schläfe halten und dabei das „smells like teen spirit“ beten. Immer in der Morgendämmerung vor Sonnenaufgang, nach dem Höchststand der Sonne, zwischen Mittag und Abend, zwischen Sonnenuntergang und Dämmerung sowie in der Dunkelheit vor der Morgendämmerung. Der Tag würde schon noch kommen. Und er kam tatsächlich! So wie jeden Tag pflanzte ich gekonnt meinen Körper vor die Kathedrale des Kurts. Mit meinem Um-die-Ecke-Gucker aus dem Yps Heft spionierte ich, so wie jeden Tag, durch die Scheiben der weidingschen Basilika, in der Hoffnung, Kurt ins Visier zu bekommen. Da stand er nun, mit weißer Schürze, dem Turiner Grabtuch gleich, sanft um den Körper gebügelt, Kunden mit Kaffee und Bier bedienend, im Lokal. Mit etwas Lithium konnte ich Nervosität, Angst und Skrupel vorerst einschläfern. Für einen kurzen Moment nur hielt ich inne und spürte schon die heiligen drei Vorboten des Rausches. Dann öffneten sich die Pforten und ich trat ins Licht. Doch mein Dominus ließ mich in Ungnade als Narren zurück und rieb mir reichlich Salz in meinen sich hinopfernden Körper. Ich bezahlte mein Bußgeld und wanderte, nach der erfahrenen Gottesbegegnung, demütig zurück nach Hause. Dann eben ein anderes Mal! Nüchtern!

© Moritz Rauter 2022-08-27

Genres
Novels & Stories, Humor & Satire
Moods
Abenteuerlich, Emotional, Komisch
Hashtags