Ganz im Ernst, was kann ein Biochemiker nach seinem Studium wirklich?
In den letzten zehn Jahren habe ich Biochemiker in allen möglichen Berufen und Unternehmen getroffen. Natürlich findet man sie im Labor an einer Universität, wo sie eine Arbeitsgruppe leiten, an der Krebsforschung oder anderen Themen arbeiten, Förderanträge schreiben, ihre Ergebnisse fleißig publizieren, habilitieren und – wenn sie Glück haben – eines Tages eine Professur oder sogar einen Nobelpreis erhalten. Doch wie viele Professorenstellen gibt es in Deutschland?
Nicht jeder Biochemiker, der professionell dazu ausgebildet wurde, Forschung zu betreiben und Labore zu leiten, kann an der Universität bleiben. Genauer gesagt ist es umgekehrt: Nur die wenige können nach der Promotion ihre gesamte Erfahrung und ihr Wissen weiterhin an der Uni einsetzen und dort Karriere machen.
Die Mehrheit der Biochemiker sucht eine Stelle in der Industrie, oft bei großen Pharmaunternehmen wie Roche, Bayer und Novartis – in der Forschungsabteilung oder in der Qualitätskontrolle. Doch auch dort sind die Plätze begrenzt. Außerdem muss das Themengebiet der Promotion exakt zur ausgeschriebenen Stelle passen, und idealerweise sollte man bereits einige Fortbildungen in Bereichen wie Arzneimittelzulassung, klinische Studien, Qualitätsmanagement oder Projektmanagement absolviert haben.
Ich habe Biochemiker getroffen, die in der Unternehmensberatung gearbeitet haben – erst als Berater, später als Manager und dann als Geschäftsleiter oder Partner. Biochemiker arbeiten im Vertrieb in Pharmaunternehmen, in der Medienbranche, in wissenschaftlichen Verlagen als Editoren oder Autoren, sie beschäftigen sich mit der Wissenschaftskommunikation oder sogar mit der Bioinformatik.
Manche Biochemiker gründen Start-ups oder arbeiten selbstständig als Berater und Coaches für wissenschaftliches Schreiben, Präsentieren und Bewerben. Sie werden zu Headhuntern im naturwissenschaftlichen Bereich oder unterrichten als Lehrer an Schulen.
Ich kenne auch Exoten, die ihre wahre Leidenschaft erst nach dem Studium entdeckt und ausgebaut haben – und nach der Promotion als Heilpraktiker, Patentanwalt oder Pole-Dance-Trainer ihr Geld verdienen.
Du siehst: Ein Biochemiker kann alles.
Von ihm wird oft erwartet, dass er alles kann. Dafür muss man nur ein paar Stellenausschreibungen lesen: Projekte entwerfen und leiten, forschen, Medikamente entwickeln, indirekt Leben retten, verkaufen, beraten, schreiben, präsentieren und vieles mehr. Doch das, was ein Biochemiker studiert hat und worüber er seine Promotion abgeschlossen hat, hilft ihm auf dem Berufsweg nur in seltenen Fällen weiter. Sein analytisches Denken, seine Neugier und sein forschender Geist können ihm jedoch niemand mehr nehmen.
© Dr. Julia Tschirka 2025-02-28