17. Santiago de Compostela

Martin Dexheimer

by Martin Dexheimer

Story
Spanien 2001

Die Nacht ist laut und trunken, die jungen Leute feiern ausgiebig. Mit den zwei Bayern wechsel ich die Schlafstelle, wir legen uns unter das Vordach und unterhalten uns in den Schlaf.

Der heutige Pilgertag ist ungemütlich. Die ganze Zeit benässt mich ein feiner, alles durchdringender Nieselregen. Ich pilgere heute fast immer zusammen mit den beiden Bayern, Martin und Rafael. Martin hat heute seinen achtundvierzigsten Geburtstag. Plötzlich läuft mir Joachim über den Weg, als ich aus einer Bar komme, in die wir wegen eines heftigen Regenschauers geflüchtet waren. Er hat sich von Gabi getrennt und seine Schritte beschleunigt. Ich hoffe, dass Gabi nun ihren eigenen Weg findet.

Noch achtzehn Kilometer bis Santiago. Heute schlafen wir in O Pino Arca. Wir können im Arztzimmer des Refugios übernachten, haben somit ein Einzelzimmer. Im Supermarkt kaufe ich eine Torte und achtundvierzig Kerzen. Dann eile ich “brennend” durch die Schlafsäle auf der Suche nach Martin. Im letzten Schlafsaal finde ich ihn und gratuliere zum Geburtstag.

Die letzte Nacht auf dem Camino ist gedankenvoll und unruhig. Ich frage mich, ob mich der Camino zu mir selbst geführt hat. Eine endgültige Antwort habe ich nicht. Unterwegs spürte ich mich klar, fühlte mich wohl und zufrieden mit mir selbst. Ich fühle mich eins mit meinen Schritten über den Camino.

Gegen 12 Uhr treffe ich auf dem Platz vor der Kathedrale in Santiago de Compostela ein, ich fühle mich froh und dankbar und überwältigt. Anfangs regnete es natürlich, dann waren meine Augen fast ständig feucht. Es gluckste in mir. Ich ging und ging und erst auf dem Berg der Freude, fünf Kilometer vor Santiago kam ich zum Halten.

Auf dem Monte de Gozo stand eine riesige Skulptur. Hier sind damals die Pilger vor Dankbarkeit und Demut auf die Knie gegangen. Ich blieb bewegt stehen, holte tief Luft und ging langsamen Schrittes hinab in die große Stadt. Plötzlich lichtete sich der Himmel und die Sonne schien in mein Gesicht.

Auf dem Platz vor der Kathedrale tummeln sich die Pilger, man trifft und freut sich überschwänglich. Viele Pilger sprechen Suse mit ihren Namen an, bewundern ihre Leistung. Ich stehe grinsend daneben, bin wohl der Pilger von Suse. Touristen bitten um die Erlaubnis, Suse mit der Jakobsmuschel fotografieren zu dürfen.

Auf dem Weg zur Pilgermesse treffe ich viele Weggefährten wieder. In unseren Umarmungen liegen ein Zustand der Freude. Die Kathedrale ist voller Menschen und ein göttlicher Gesang lässt mich erschauern. Voller Bewunderung schaue ich auf die Nonne, die so wundervoll singt. Ihre warme Stimme durchdringt meinen Körper, sie geht unter die Haut. Mein Körper vibriert und ich fühle Licht und Feierlichkeit. Für einen Moment bin ich Teil dieser Kirche, spüre diese Messe als meine persönliche Messe.

Mein letzter Pilgergang führt mich ins Pilgerbüro. Leider gibt es für Suse keine Compostela, nur für mich. Meinen treuen Wanderstab stelle ich dort ab, denn ich brauche ihn nicht mehr. Er steht mit den anderen Stäben in einem großen Gefäß.

© Martin Dexheimer 2024-05-08

Genres
Travel
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Abenteuerlich, Inspirierend
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