17. Wurzeln

Marie Töpfer

by Marie Töpfer

Story

Sie war wieder da und die Nacht, die ich verdrängte, lag weit entfernt – zumindest dachte ich das. Die Zeit ohne Selma waren zehrend für mich gewesen. Mein Tagesjob in dem Kiosk hinter unserer Lieblingsbar war mir gekündigt worden und mein Bauchgefühl drängte mich über eine mehrere Nächte dazu, meine Entscheidung des Verweilens in Mexico City zu überdenken.

“Die Mieten werden teurer, mi amor”, hatte ich Selma am Telefon erzählt. “Ich weiß nicht wie viele Monate ich noch stemmen kann, wenn ich nicht bald einen neuen Job finde…“ Sie schien so unendlich weit weg zu sein. “Ich weiß, wir müssen es besprechen, wenn du wieder da bist, doch du bist es nicht. Und ich weiß nicht weiter.“ Es machte mich verrückt, wie sehr ich mich aufreiben konnte, an Themen, die mich früher nie beschäftigt hatten. Der innere Drang, das Geld perfekt im Griff zu haben von meinem Vater schien sich durchzusetzen, je älter ich wurde und die Ungeduld meiner Mutter lagerte sich in meiner Stimme ab, ohne dass ich es bemerkte. Vielleicht war es gut, dass Selma an diesem Nachmittag meine Verzweiflung durch den Telefonhörer mitbekommen hatte, denn sie war so viel tiefer, als ich es fassen konnte. Der Monsun in mir hatte nicht aufgehört mit Eisregen zu schütten. Ich wusste, ich müsste weiter reisen, doch meine Beine waren so schwer, dass ich sie nicht von alleine regen konnte. Wenn sich nicht ein Wunder auftun würde, dann würde ich hier zugrunde gehen. Es war unumgänglich, dass das Leben mich dazu trieb, weit weg von ihr zu treiben. Ihre Hände zu nehmen und mich unter Wasser zu drücken. Diese Seite in mir musste Heilung ohne sie finden. Erst dann würde ich zurück zu ihr kommen können.

„Willst du denn gehen“, hatte sie mich leise gefragt, beinahe nicht einmal wie eine Frage. „Ich will mit dir sein“, hatte ich ihr geantwortet. „Und ich brauche dich mehr bei mir, doch ich bin nicht in der Lage, mich ohne dich aufrecht zu halten. Ich habe ein großes Problem.“ Sie wusste, wie recht ich habe und schien in sich gefangen zu antworten. „Du brauchst nichts sagen, ich werde wieder kommen. Um mit dir zu sein, um mit dir diesen Weg zu beschreiten. Doch davor muss ich alleine laufen lernen. Weder du noch Bogdan dürfen die sein, die mich in mir halten können. Das kann nur ich alleine, nur ich kann den Tanz auf meinem eigenen Pfad tanzen.“ Ihre Augen waren weit. „Ich liebe dich, und ich komme wieder, wenn du mir Zeit lässt.“ Sie würde warten, das fühlte ich in meinem Herzen. Dass ich diese Stärke mit mir brachte, war das, was ich zuvor niemals erwarten konnte. Sie wusste, ich sprach mit dem Gold auf meiner Zunge, das sie mir ins Herz gelegt hatte. “Das mit uns ist zeitlos. Ich werde warten, denn es gibt niemanden wie dich für mich.” Ich hatte aufgehört Spiele zu spielen, genauso wie nach den Regeln der anderen zu agieren. Es ging nicht mehr ums Gewinnen oder Verlieren, sondern nur noch um Vertrauen und Wachsen. Vielleicht war das von Anfang an das, was wir wollten, doch erst lernen mussten. Zum ersten Mal seit langem fühlte ich die Ruhe in meiner Brust, die zuvor nur sie mir hatte geben können. Sie lag dort draußen, fern, in der Weite und doch, so spürte ich, war sie nur einen Herzschlag entfernt, nur einen Schritt von mir, in mir.

© Marie Töpfer 2023-01-05

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