19.02 – Beichte I

Niklas Becker

by Niklas Becker

Story

“Gelobt sei Jesus.”, das sind die Worte, mit denen mich das Beichtkind, dieses Mal tatsächlich ein Kind, begrüßt. Vermutlich haben seine Eltern ihm diese Grußfloskel ans Herz gelegt. Es ist seine erste Beichte, ich höre ihm aufmerksam zu, spreche ihn im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes frei von seinen Sünden, und entlasse ihn mit den Worten “Gelobt sei Jesus Christus.”, worauf er antwortet “In Ewigkeit. Amen.”. Nun sind Sie mit dem groben Ablauf meines Tagesgeschäfts vertraut. Ich werde seine Sünde nicht im Detail wiedergegeben, weil sie nicht viel hermacht. Er hat seinen Eltern ungefragt Geld aus dem Portemonnaie genommen, um sich davon ein paar Süßigkeiten zu kaufen. Ich schätze ihn auf vielleicht sieben oder acht Jahre. Strenggenommen hat er damit gleich gegen zwei der zehn Gebote verstoßen; das vierte, die Ehrung der Eltern, und das siebte, keinen Diebstahl zu begehen. Das ist die Absurdität, mit der man sich manchmal konfrontiert sieht. Stehlen ist offensichtlich nicht gut und auch die Ehrung der Eltern hat im jungen Alter, zumindest in den meisten Fällen, auch ihre Richtigkeit, aber war seine Tat eine Sünde? Etwas, wofür man der Vergebung Gottes bedarf? Der Junge hatte bei seiner Beichte Tränen in den Augen. Reue ist richtig, sie ist notwendig, um zu lernen. “Hab ich etwas Falsches gewagt, nun wohl, dann hilft mir das Leben mit der Strafe. Hab ich jedoch überhaupt nicht gewagt, wer hilft mir dann?”. Kierkegaard. Aus Fehlern lernt man. Doch was lernt man aus ihnen? Der Junge muss sich nicht vor mir oder vor Gott verantworten, er muss sich vor seinen Eltern verantworten. Dass Gott ihm vergibt, bedeutet nicht gleich, dass auch seine Eltern das tun werden. Wenn Gott jede bereute Tat vergibt, wird man dann jemals lernen, dass Handlungen reale Konsequenzen haben? Wir zeigen unseren Kindern damit nur, dass es leichter ist, Vergebung als Erlaubnis zu erlangen. Wozu fragen, wenn die Antwort keine Bedeutung hat? Natürlich spielt sich das hier in einem verschwindend geringen Ausmaß ab. Das ist das Spannende an Gott, das Spannende an Moral; gibt es wirklich durchweg schlechte Handlungen? Spielt das Ausmaß der Handlung keine Rolle bei der Bewertung ihres moralischen Gehalts? Sind 2 € stehlen oder 2.000.000 € hinterziehen einerlei? Auch in der Hölle muss es doch Temperaturunterschiede geben. Und was, wenn ich dieses Geld brauche, und es von jemandem nehme, der mehr als genug hat? „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“, und wenn man es damit ernst meint, ist von den Reichen nehmen keine Sünde, es ist eine Wohltat an seinen Mitmenschen und den Reichen selbst, die nun auch eine Chance auf Gottes Güte gewinnen. “Eigentum ist Diebstahl”, und Diebstahl ein Akt christlicher Nächstenliebe.

© Niklas Becker 2023-09-07

Genres
Novels & Stories
Moods
Reflektierend