Für die Nichtphysiker unter euch etwas trockener Lehrstoff: Die technische Atmosphäre ist eine nicht SI-konforme Einheit des Drucks. Sie ist seit dem 1. Januar 1978 in Deutschland und Österreich für die Angabe des Drucks nicht mehr zulässig. Das Einheitenzeichen ist at. Das Wort Atmosphäre leitet sich vom altgriechischen atmós (Dampf) und sphaira (Kugel (latinisiert:sphära)) her. Es bezeichnet im vorliegenden Zusammenhang die gasförmige Hülle über der Erdoberfläche. Die Druckeinheit orientiert sich an der Größe des normalen Drucks, der von dieser Hülle ausgeübt wird, weicht aber zur Anbindung an die Krafteinheit Kilopond von der physikalischen Atmosphäre um ca. 3 % davon ab. Anders als bei den Einheiten des internationalen Einheitensystems (SI) war es bei der technischen Atmosphäre üblich, im Einheitenzeichen anzugeben, um welche Art von Druck es sich handelt. Dem Einheitenzeichen wurde dann ein Index (a, ü oder u) angehängt. Daraus resultiert nun:
ata: Absoluter Druck in at, gezählt ab Druck im luftleeren Raum,
atü: Überdruck in at, gezählt ab Druck der umgebenden Luft,
atu: Unterdruck in at, gezählt ab Druck der umgebenden Luft.
Die alte Einheit atü fand sich z. B. auf den Reifendruckfüllgeräten an Tankstellen. Da der Pkw-Reifen das Fahrzeug nur tragen kann, wenn der Reifen in Bezug zum Umgebungsdruck einen höheren Druck aufweist, haben Reifendruckfüllgeräte entsprechend die Druckdifferenz zum Umgebungsdruck gemessen.
Das alles ist aber für meine Geschichte total irrelevant. Ich ersetze gerne mal Bezeichnungen, um zu testen, ob mein Gegenüber auch aufpasst, worüber ich gerade spreche. In diesem Fall geht es eigentlich um Dioptrie, die Angabe der Brechkraft von optischen Systemen. Ich trage nämlich seit ca. sechs Jahren eine Lesebrille. Angefangen hat alles damit, dass mich beim Lesen der Zeitung meine (heute EX) Frau gefragt hat, ob sie mir das Blatt abnehmen soll, um sich damit in zwei Metern Entfernung vor mir zu positionieren. Sie meinte, dass ich eventuell dann erkennen kann, was da geschrieben steht. Natürlich habe ich das alles als Schikane meiner Gattin abgetan und noch Wochen gebraucht, bis ich mich zum Augenarztbesuch überreden ließ. Recht gleichgültig saß ich dann also in der Ordination und ließ einige Untersuchungen über mich ergehen. Natürlich auch einen Sehtest. Von einer Sekunde auf die andere fegte die Realität wie eine riesige Welle über mich hinweg, begrub meine Naivität unter sich und hielt mir einen Spiegel vors Gesicht. Ja, auch ich trage seit diesem Tag eine Lesebrille. Plötzlich veränderte sich alles um mich herum. Mein Handy hatte plötzlich eine Tastatur. Ich hab mich schon öfter gefragt, warum ich immer wieder mal fremde Menschen angerufen hatte. Jetzt wurde mir einiges klar. Und die Artikel in der Zeitung waren auf einmal dick und fett und leserlich. Ich wollte losheulen vor Glück: Ich konnte wieder sehen. Was für ein Wunder. Meinem Optiker sei Dank. Was für ein Wunder …
© Günter Zimmel 2020-12-08