Er ließ sich keine Zeit. Er wusste, dass man früher oder später seine Spur finden würde. Bei aller Konkurrenz der Geheimdienste, bei all ihrer Unterschiedlichkeit, ihrer Zugehörigkeit zu unterschiedlichen politischen Systemen und Ideologien, in einem waren sie sich einig, mehr noch, sie informierten sich sogar gegenseitig, sobald Terroristen über den Planeten jetteten. Diese „boundless information“, die besonders nach 9/11 den Planeten umfasste, führte dazu, dass Geheimdienste terroristische Informationen über Grenzen und unterschiedlichste Verfassungen hinweg austauschten. Schließlich waren alle davon betroffen. Also musste er schnell handeln, wenn er seine selbstgesteckten Ziele erreichen und seine selbstbestimmten Aufträge ausführen wollte. Deshalb hatte er sich in Nalewia auch nicht lange aufgehalten. Er hörte von seinem “Erfolg”, als er im Flieger nach Südamerika, nach Venezuela, saß. Nicht, weil in diesem Land ein absolut strenges diktatorisches Regime an der Macht war, sondern weil Korruption und die Vereinnahmung von Staatsgeldern bereits fast ein Drittel der Bevölkerung ins Ausland getrieben hatten und 80 Prozent der Bevölkerung in dem ansonsten so ölreichen Land in beispielloser Armut lebten. Er musste ein Fest finden, bei dem der Präsident anwesend war, womöglich auf einer Ehrenloge saß und die Presse für dessen egomanische Auftritte um sich versammelt hatte. Er wollte ihm möglichst nah kommen. Andererseits musste er so schnell wie möglich wieder abreisen können, also durch das Gedränge der Menge hindurchschlüpfen und aus dem Land verschwinden. Dazu boten sich der Karneval in Caracas oder die Umzüge in der Karwoche, die Semana Santa, an. Letzteres wollte er aus Pietät meiden. Bei den Karnevalsumzügen wurden dagegen vorab politische Reden gehalten und die Presse saß in der Nähe des Präsidenten neben den Regierungsmitgliedern.
Er schob sich durch das Gedränge, zeigte seine Akkreditierung vor und hatte Glück, gleich in der ersten Reihe zu sitzen. Nach dem stundenlangen Geseier verschiedener Minister erschien der Präsident. Fast zweieinhalb Stunden musste er ihm zuhören. Als er schließlich seine Schlussworte sagte, vom Rednerpult weg und an den Journalisten vorbeiging, um den Umzug zu eröffnen, trat er in Aktion. Keine Minute später griff sich der Präsident plötzlich an die Brust, keuchte, versuchte sich krampfhaft an einem Bodyguard festzuhalten, was ihm jedoch nicht gelang, rang verzweifelt nach Luft und brach schließlich zusammen. Alfonso di Comtenato war tot, offensichtlich an einem Herzinfarkt gestorben.
Weltweit erregten die Herzinfarkte zweier Politiker nach öffentlichen Auftritten großes Aufsehen. Zwar wollte man noch keine Zusammenhänge konstruieren, obwohl die ersten Blüten von Verschwörungstheorien schon aus „dem Boden schossen”, doch sicherheitshalber wollte Stev so schnell wie möglich das Land verlassen, nicht überhastet, um nicht durch eine solche Reaktion aufzufallen. Er drängelte sich mit der Journalistengruppe durch die Menge, fand ein Taxi und ließ sich zum Flughafen bringen. Seine Maschine nach Südostasien, Myanmar war bereits gebucht. Vielleicht war er politisch noch zu unerfahren und ging zu naiv an die Ausführung heran. Jedenfalls wimmelte der Flughafen bereits von schwer bewaffneten Soldaten.
Der Flughafen war geschlossen.
© Heinz-Dieter Brandt 2025-07-19