Ja die Zeit ist flüchtig. Jahre sind im Flug an mir vorbeigezogen. Jetzt bin ich die Altbäuerin am Hof. Und ich sitze wieder hier, wie schon hunderte Male zuvor, unterm Kreuz. Mitten im Wald. Ich fürchte mich nicht. Trotz dieser mysteriösen Zeichen die ich hier erlebte. Meine Erfahrungen lehrten mir, dass es Schlimmeres gibt auf der Welt als klopfende Geister. Ich sehe vielmehr mein Leben vorbeiziehen. Ich sehe mich als Kind, an der Seite meiner Großmutter. Sie hat aus den Lärchenzweigerln immer Kratzl hergestellt, die damals zum Reinigen von Töpfen verwendet wurden. Wir Kinder spielten im Wald und bauten aus den trockenen Zweigen, aus Moos und Steinen kleine Hütten, in denen unsere Tiere wohnten. Diese wurden aus Fichtenzapfen gebastelt. Die Glocken von Sankt Hemma waren ein sicheres Zeichen. Wenn diese um elf Uhr läuteten, hieß es nach Hause gehen. Großmutter versorgte noch immer als Köchin die ganze Familie, mit ihren köstlichen Landfrauengerichten. Dabei war es eben so schön, wie sie dann am Heimweg von früheren Zeiten erzählte. Sie sah selbst oft zurück. Doch erschien mir damals alles in weiter Ferne. In meinen Vorstellungen sah die Welt von damals recht dunkel aus. Schwere Zeiten waren es, von denen Großmutter erzählte. Dann sehe ich mich als Teenager, wie ich mit meinen Freundinnen zum ersten Mal zum Tanz in den Mai ging, welcher immer beim alten Gasthof oben auf der Anhöhe stattfand. Ich höre uns lachen und plaudern. Mit meiner Mutter suchte ich hier nach Weihnachtsbäumchen. Jahraus, jahrein. Im dichten Schneegestöber, bei klirrender Kälte oder strahlendem Sonnenschein. Das war ein Ritual. Immer wurde erst am Heiligabend der Baum geholt und zu Hause festlich geschmückt. Alljährlich das schönste Weihnachtserlebnis meiner Kindertage. Ich sehe mich hier auch als Bäuerin mit meinem Ehemann auf dem Feld und mit meinen Kindern beim Wandern. Ich hole die Pferde ab und bringe die Kühe und Schafe auf die Weide. Am anschließendem Feld sehe ich die Kornmanndln stehen. All diese Bilder ziehen an meinem geistigen Auge vorbei. Was mir wohl die Katharina, die hier starb, heute sagen würde? Hat sie mich begleitet oder gar beobachtet? Hat ihr das gefallen, wie ich mein Leben gestaltete? Wusste sie, dass ich dreißig Dienstjahre im Krankenhaus zusammenbrachte, so nebenbei und das meine Kinder alle gesund und glücklich aufwachsen durften? Konnte sie herüberschauen aus der Ewigkeit? Ja ich bin älter geworden, doch ich fühle mich gar nicht so alt. Ich genieße meinen Erfahrungsschatz, aus dem ich noch immer schöpfen kann. Es war mir gegönnt in einer friedvollen Zeit zu leben. Und ich durfte Leben, im Gegensatz zu meiner Vorgängerin die hier in so jungen Jahren die Welt verlassen musste und ihre zwölf Kinder. Ich denke noch immer an sie und gemeinsam mit einer lieben Freundin betete ich für ihr Seelenheil und für die Erlösung aus ihrem Schmerz. Ihre Geschichte lässt mich dankbar auf mein Leben blicken. Welch vielfältiges Leben das war. Ich fahre schon seit vielen Jahren Auto. Moderne Maschinen und Geräte erleichtern die Arbeit in der Landwirtschaft. Das Haus ist zu einem gemütlichen Zuhause geworden mit Wärme in allen Räumen, mit praktischen Haushaltsgeräten, mit jederzeit genug zu Essen im Kühlschrank. Ich besitze ein Smartphone, mit welchem ich mit aller Welt verbunden bin, mit vielen Gigabytes Speicherplatz, mit YouTube, Netflix und Tik Tok. So viele neue Eindrücke gibt es für mich, alle Tage. Ich würde Dir das alles ja so gerne zeigen, liebe Katharina.
© Angela Buchegger 2024-04-26