Eskapismus meets Gewächshaus. – Amsterdam Edition.
Eskapismus bezeichnet die Flucht aus oder vor der realen Welt und das Meiden derselben mit ihren Anforderungen zugunsten einer Scheinwirklichkeit. Der Begriff wird in der Psychologie sowie der Bildungssprache meist negativ verwendet.
Dieses Konzept wird in der Hospitality-Branche hingegen als Erfolgsfaktor verstanden.
In einem meiner Lieblingsrestaurants in meiner Wahlheimat Amsterdam wird Eskapismus in brillanter Weise umgesetzt. Bereits bei der Anreise, standesgemäß mit dem Fahrrad, wird die Realität radfahrend relativiert. Autos sind meist nur zu Besuch auf den Straßen und Fahrräder genießen nicht das Recht der/des Stärkeren sondern das Recht der/des Strampelnten.
Das Restaurant liegt in einem kleinen aber prächtigen Park, der durch die vielen verschlungenen Pfade und dichte Flora an ein verwunschenes Labyrinth erinnert. Ein Labyrinth, in dem die Wirklichkeit hinter der nächsten Abzweigung liegen könnte, aber Mondschein Schein offenbart.
In dieser Unwirklichkeit taucht ein Manifest der Wirtlichkeit auf, das Restaurant. In dem Gebäude wurde und wird Gemüse angebaut. Es ist ein Gewächshaus, welches dem reinen Anbau von Gemüse entwachsen ist und nun Gästen Gewachsenes in kulinarischer Höchstform zubereitet angedeihen lässt.
Nicht nur, dass mich das Menü jedes Mal auf eine wahrhafte (Geschmacks-)Reise mitnimmt, auch die inszenierte Inneneinrichtung lädt mich in eine Traumwelt ein. Die Sonne heizt durch die Fenstergläser und kitzelt meine Stirn. Neben mir wächst in erster Linie Gemüse, aber auch Kräuter und Früchte. Erntereif landen sie auf meinem Teller und je nach Saison wird gegessen. „Am Morgen geerntet, am Nachmittag auf dem Teller“: Mit dem Storytelling macht das Restaurant dem Eskapismus erneut alle Ehre.
Knapp 2,5 Stunden volle Dröhnung der Wirklichkeitsflucht & besser als jedes Video-Spiel. Lekker!
© Michaela Mayr 2022-02-27