by Hanna Schick
Verdammt. Da will man sich schon einmal ordentlich entschuldigen und dann komme ich auch noch zu spät. Sie wirft ihre Tasche umständlich über die Schulter, umklammert den Blumenstrauß bestehend aus violetten Hyazinthen und noch irgendwelchen anderen Blumen, die sie aber nicht kennt, und rennt noch schneller. Wenn sie jetzt die Bahn verpasst, dann kann sie gleich wieder nach Hause gehen. Nur noch die Treppen runter und dann ist da auch schon die Haltestelle der 7. Addolorota rennt, fast fliegt sie die Treppen runter. Egal ob sie jetzt hinfliegt. Solange die Blumen in Ordnung sind und sie die Bahn bekommt, ist alles in Ordnung. Sie schielt an dem Strauß vorbei und sieht die Bahn an besagter Haltestelle halten. Jetzt legt sie einen Sprint hin, mit dem sie sicher einen Weltrekord geknackt hätte. Trotzdem kommt sie an, als die Türen sich bereits schließen und schon beim Laufen bildet sich ein fetter Kloß in ihrem Hals. Nein bitte nicht! Bitte! fleht sie und wie durch ein Wunder erscheint eine Hand in der sich schließenden Tür und sie öffnet sich wieder. Verwundert steigt sie in die Bahn und blickt hinter dem Blumenstrauß hervor ihre Rettung an. “Danke! Du weist gar nicht wie sehr du mich gerettet hast.” Die Frau lächelt erfreut: “Habe ich das? Gerade habe ich genau das Gegenteil getan.” Sie schaut etwas betreten auf ihren fast leeren Kaffeebecher und die kleine traurige Kaffeepfütze vor ihren Füßen. “Oh!”, Addolorota nickt wissend und lächelt die Frau aufmunternd an. “Trotzdem danke!” Die Frau nickt lächelnd und widmet sich ihrem leeren Kaffeebecher. Addolorota schiebt sich weiter Richtung Mitte des Abteils und versucht, ihr Handy aus der Tasche zu ziehen. Immer noch keine Nachricht. Traurig entsperrt sie ihr Handy und öffnet zum gefühlt hundertsten Mal an diesem Montag den Chatverlauf von Rue und ihr. Sie hatte ihre Entschuldigungsnachrichten zwar gelesen, aber nicht geantwortet. Auch auf diverse Anrufe hatte sie nicht reagiert. An der nächsten Station muss Addolorota aussteigen. Je näher sie dieser unausweichlichen Situation kommt, desto mehr hat sie das Gefühl, dass ihr Hals sich immer mehr zuschnürt und ihre Augen anfangen zu brennen. Sie hatte zu viele Tage in der letzten Woche damit verbracht, in ihrer Wohnung zu sitzen und weinend durch alte Chat-Konversationen von ihr und Rue zu scrollen. In Gedanken versunken fliegen die Minuten und der Weg von der Haltestelle zu Rues Haus vorbei und ehe sie sich versieht, steht sie vor der Pforte des Vorgartens. Ein älterer Mann und eine ältere Frau kommen ihr entgegen und lächeln sie an. “Guten Tag!” Addolorata ringt sich ein Lächeln ab. “Guten Tag!” Sie öffnet das Tor und geht langsam durch den Vorgarten und die Treppe hoch. Sie hebt die Hand, um zu klingeln, aber lässt den Finger auf der Klingel ruhen. Ihr Hals fühlt sich plötzlich so dick an und schnürt ihr die Luft ab. Ihre Augen fangen an, auf diese wohlbekannte Art zu brennen. Am liebsten würde sie sich jetzt umdrehen und nie wieder zurückschauen, aber da ist es schon zu spät und ihr Finger hat den kleinen Widerstand überwunden. Es klingelt und keine zehn Sekunden später geht die Tür auf. Vor ihr steht Rue. Ein gutes Stück kleiner als sie, mit dunklen Augen und dunklen Haaren, aber noch viel dunkleren Augenringen.
© Hanna Schick 2023-09-05