Tjark wühlt zitternd in den Braunglasscherben auf den marmornen Treppenstufen, Jackenärmel triefend mit etwas, das gleichermaßen Melasse oder Tinte hätte sein können. ,,Was-” , stößt er hervor, ,,Merlin, was ist-hast du…” Er fährt sich bebend durch die Haare über das schweißnasse Gesicht, begutachtet mit aufgerissenen Augen seine verschmierten Hände, wischt sie hastig an seiner Hose ab. Mit implodierendem Herzen stellt er fest, dass keine der zwanzig Ampullen den Sturz überlebt hatte, ihr wertvoller Inhalt nun nutzlos in seiner Kleidung und Fingern klebend. Selbst sein bleiches Gesicht ist befleckt, als ob er schwarz angespuckt wurde.
(,,Nimm nichts, bevors nicht fertig ist, das ist verdammtes Teufelszeug.”)
Tjark hievt sich auf die Beine, das Mahlen von Glas auf Stein gräbt sich spottend in seine Ohren, direkt durch den Knochen. Die Welt fällt und er prallt, Gesicht zuerst, gegen die Holztür. Bei jeder Bewegung blättert mehr Lack ab, klebt an seiner Haut wie eine zweite. Er hämmert kraftlos mit einer Faust gegen das Holz. ,,Mach auf., seufzt er dagegen, ,,Merlin, mach diese scheiß Tür auf.” Von innen worbeln ihm undefinierbare Wörter entgegen. Er schlägt nochmal zu, nochmal, nochmal; jeder Schlag treibt ihm Tränen in die Augen, lässt die lose Haut um seine Knochen schlackern.
(,,Wir machen das zusammen, Merlin. MOBIUS gehört uns.”)
MOBIUS: Träumen in Tintenoptik, abgefüllt in Brechampullen, Verkauf zu 10 Stück.
MOBIUS: Komplette Kontrolle über dein Unterbewusstsein bereits bei der ersten Anwendung!
MOBIUS: Unser Traum ist deiner!
Die Werbesprüche hallen in Tjarks Kopf wieder und wieder und wieder; was hatten sich die beiden nur dabei gedacht, MOBIUS wirklich verkaufen zu wollen?
Tjarks grüne Iris hatten sich, von den ganzen Testdosen, ebenso tintenschwarz gefärbt wie die Droge selber, Wachheitszustände sind für ihn zur Ausnahme geworden. Und Merlin? Der hatte es für eine gute Idee gehalten, mit dem merkwürdigen Kauz, der ihm regelmäßig Geschichten über chemische Formeln und bewusstseinsverschiebene Substanzen erzählte, eine Partnerschaft einzugehen. Verflucht, er war ja selber einer der komischen Kerle; mit seinen Tierversuchen und seiner Idee, die Genexpression von Knochenmineralstrukturen zu verändern (,,Stell dir vor, wir könnten aus jedem Knochen Edelsteine machen, Tjark!”). Er rutscht mit zunehmendem Realitätsbewusstsein an der Tür herunter auf den kalten Steinboden, schlägt mit seinem Hinterkopf kraftlos ein-, zwei-, dreimal gegen sie.
(,,Himmmelreich, Schlaf ist für mich ein Fremdwort, woher glauben Sie, habe ich diese Augenringe? Diesen Nebel im Kopf? Wie viele Menschen, glauben Sie, geht es wie mir, wie uns? Wie vielen Menschen, glauben Sie, könnten wir mit MOBIUS helfen?”)
Tjark kämpft mit seinem Bewusstseinsgewinn, der ihn zurück in die wache Welt zieht wie Treibsand, und denkt, ,,MOBIUS hilft niemandem, der Komfort im Schlaf sucht.”
© Casper Kerseboom 2022-05-20