Ursprünglich wollte er Feinmechaniker werden. Er liebte das exakte Arbeiten, die Liebe zum Detail und die Präzision seiner Arbeit. Er feilte auf den Zehntelmillimeter genau, setzte Schweißnähte auch in der Feinmechanik exakt, brachte kleinste Rädchen und Schrauben mit bewundernswerter Geduld und absolut ruhiger Hand an ihren Platz. Dann kam die Einberufung zum Militär, wo er stumpfsinnige Arbeiten verrichten musste, bis seine Gruppe die ersten Tage auf einem Schießstand verbrachte. Dort kamen ganz andere Fähigkeiten zum Vorschein. Seine Augen, die er für die Montage kleinster Rädchen geschult hatte, konnten auch auf größere Entfernungen absolut zielsicher sehen. Ob mit Gewehr, Pistole oder Pfeil und Bogen – er traf immer genau, zunächst auf 200 und 500 Meter, später mit einem Spezialgewehr sogar auf ein und zwei Kilometer. Die Entscheidung war klar: Er sollte eine Spezialausbildung machen. Ein Sniper, ein Scharfschütze, sollte er werden.
Die maximale effektive Schussweite eines Gewehres variiert je nach Bauart und Kaliber. Sie liegt im Durchschnitt bei ca. 1.000 m, kann aber bei Großkalibern bis zu 2.500 m betragen. Bei größeren Entfernungen spielen die Witterungsbedingungen wie Wind, Temperatur und Luftdruck sowie das verwendete Kaliber, die Rohrlänge und der Schusswinkel eine wichtige Rolle. Unter Berücksichtigung dieser Bedingungen kann die effektive Reichweite durch den Einsatz geeigneter Munition weiter erhöht werden. Spezielle Munitionsarten und -formen wurden von ihm entwickelt, bevor er – jeweils auf Anforderung von Armeeeinheiten verschiedener Staaten – in den Irak und später nach Afghanistan entsandt wurde. Dort gelang es ihm, die Schussweite auf fast 4.000 Meter zu erhöhen.
Man sagt, dass man einen Kopfschuss nicht spürt. Die Geschwindigkeit, mit der die Kugel das Gehirn durchdringt, verhindert jedes Gefühl. Nur die Angst zählt. Er hatte sich auf Kopfschüsse spezialisiert. Seine Trefferquote lag bei 100 Prozent. Er berechnete vorher das Gewicht der Kugel, die Entfernung, den Einfluss des Windes, beobachtete die physischen Merkmale seiner Opfer – wenn er sie sah – wie Größe, Gewicht, wie sie sich bewegten und standen, bis hin zur Größe ihres Kopfes. Die Größe des Kopfes war besonders wichtig. Sein Schuss musste genau sitzen, er durfte nicht viel Schaden anrichten, das Austrittsloch durfte nicht größer sein als das Eintrittsloch. Und das gelang ihm immer. Er war ein Meister und als solcher sehr gefragt.
Als er aus dem Krieg zurückkam, machte er sich selbstständig. Natürlich nahm er nicht jeden Auftrag an. Er stellte Bedingungen: Die Bezahlung musste stimmen. Er gehörte nicht in die Kategorie gewisser afrikanischer oder südeuropäischer Gruppen, die sich mit 500 Euro pro Tat zufrieden gaben. Außerdem musste ein Handyfoto als “Beweis” genügen. Erschwerend kam hinzu, dass er die Opfer im Alleingang “entsorgen” wollte, vor allem, wenn er sie aus einer größeren Menschenmenge bergen musste. Bisher hatte es aber fast immer geklappt. Nur zweimal musste er seine Opfer nachträglich aus der Pathologie stehlen, sich sogar beeilen, wenn er sie noch unseziert beiseite schaffen wollte. Aber auch da hatte er Glück, ein Austausch der Leichen gelang rasch, und die öffentliche Aufregung legte sich erstaunlich schnell.
© Heinz-Dieter Brandt 2023-09-04