Ich war acht, als wir in Griechenland Urlaub machten. Zwei Tage lang fuhren wir mit dem Auto über (damals noch) Jugoslawien in dieses ferne Land, das nur aus Eis, Sonne und Strand zu bestehen schien. Weißgetünchte Häuser, blaue Fensterläden, der Geruch von Sonnencreme, der Sand so heiß, dass man vom Handtuch aus einen Sprint zum Wasser hinlegen musste. Ich erinnere mich an das Summen der Zikaden, an Spaghetti, die eher dem Auflauf ähnelten, den ich von zu Hause kannte – und an die Kamera meiner Mutter. Eine analoge, mit Film. 36 Bilder pro Rolle. Jedes gut überlegt. Ich sehe sie noch, wie sie das kleine schwarze Rädchen spannte, ein Auge zukniff, tief Luft holte. Klick. Und dann weiterlebte.
Diese Bilder kleben noch heute in unserem Familienalbum. Ich liebe sie. Nicht, weil sie perfekt sind, sondern weil sie lebendig sind. Mein Kinderlachen mit Melone im Gesicht. Mein Vater mit Sonnenbrand. Mein Bruder, der Muscheln vom seichten Meeresgrund heraufholte. Es gibt nicht viele Fotos aus diesem Urlaub – aber jedes erzählt etwas. Und wir sehen sie oft an. Immer wieder, auch heute noch.
Dreißig Jahre später: Ich bin wieder in Griechenland. Diesmal mit meinen eigenen Kindern. Wir wohnen wieder nah am Strand, die Fensterläden sind diesmal grün, die Zikaden singen noch immer. Ich habe mein Handy dabei – klar. Es ist schnell gezückt, schnell geklickt. Ein Sonnenuntergang, noch einer, das Eis in der Hand meiner Tochter, der Schatten eines Boots im Wasser. Am ersten Tag habe ich 147 Fotos gemacht. Am zweiten habe ich sie nicht mehr gezählt. Sie werden – wie alle anderen irgendwo in einer Cloud – in Vergessenheit geraten.
Zu viele Bilder, zu viele Wiederholungen. Nichts davon schafft es in ein Album. Kaum etwas wird je wieder angeschaut. Und während ich das perfekte Bild suche, zieht der Moment vorbei. Leise. Ungesehen.
Am dritten Tag nehme ich meine kleine Digitalkamera aus dem Koffer. Eine, die ich mir vor ein paar Jahren bewusst gekauft habe – als „Zwischenlösung“. Kein Film mehr, aber auch keine ständige Verfügbarkeit wie beim Handy. Ich nehme sie bewusst mit, wenn ich fotografieren will. Und wenn nicht, bleibt sie liegen. Plötzlich verändert sich etwas. Ich überlege wieder, bevor ich abdrücke. Laufe ein paar Schritte zurück, warte auf das richtige Licht. Ich sehe wieder. Bewusster. Ich lebe wieder im Moment, nicht nur durch die Linse. Und: Ich fotografiere weniger – aber besser.
Am letzten Abend sitzen wir alle am Strand. Die Kinder bauen Burgen, der Wind riecht nach Salz und Minze. Ich habe die Kamera neben mir, aber ich greife nicht danach. Ich will das nicht durch eine Linse erleben – nicht durch Glas, das mich vom Moment trennt. Sondern in mir abspeichern und eine echte Erinnerung schaffen.
Vielleicht drucke ich diesmal wieder einige der Fotos aus der Kamera aus. Nicht alle. Nur die, die wirklich zählen. Und vielleicht mache ich sogar ein kleines Album. Denn manchmal reicht ein einziges Bild – um alles wieder zu erleben.
© Anna-Katharina Plach 2025-07-25