by Edda Eggs
Oft denkt man, dass Wolken Drachen oder Schafe sind, die am Himmel eine Geschichte erleben – jedenfalls denkt man während einer langweiligen Schulstunde so. Außerhalb der Schule dachte Marcy nie über die Wolken nach, doch jetzt gerade in Geografie klammerte sich ihr Gehirn an jede Ablenkung, die es bekam. Der Drache flog auf die Schafe zu, fraß sie auf und eine neue Wolke entstand. Die Schulglocke läutete und Marcy war vor allen anderen zur Tür hinaus um nicht in einen Stau zu gelangen. Vor der Schule wartete schon eine Katze auf sie.
»Trai, du solltest unsere Siedlung doch nicht verlassen!« Trai sah zu Marcy hoch und maunzte krächzend als sie ihr den Kopf streichelte. Die Katze rannte den Weg nachhause vor und als Marcy ihr Gartentor öffnete, sah sie Trai vor einer Fremden sitzen; einem fremden Mädchen mit zotteligem hellbraunem Haar. Sobald Lum sie sah, lächelte sie strahlend. »Hallo, ich bin Lum.« Marcy schaute sie skeptisch an. Sie trug ein viel zu großes Shirt, das ihr bis zu den Knien hing und war von oben bis unten voller Dreck. »Ich bin Max. Was machst du bei meinem Haus?« Lums Lächeln erlosch etwas. »Ich- deine Katze dachte es wäre gut, wenn ich hier bin.« »Wenn d- wo glaubst du, bist du? Das hier ist kein Hotel.« Lum sah zu Boden und beinahe fühlte sich Marcy schlecht so unhöflich zu sein. »Marcyy! Bis du das?« Die Stimme von Marcys Mutter erklang von der Straße. Marcy sah in Lums tiefe dunkle Augen, die sie weise ansahen, und fasste eine instinktive Entscheidung. Sie nahm Lum bei der Hand und zog ihren dünnen Körper durch die Haustür, die Treppe hoch in ihr Zimmer. Lum rieb sich das rote Handgelenk, sah sie aber dankbar an. Marcy ließ Trai ins Zimmer und bevor sie die Tür wieder versperrte, griff sie in eine Schublade und schmiss Lum ein Shirt zu. »Hier. Ist etwas zu groß für dich. Meines hat aber weniger Löcher.« Sie setzte sich aufs Bett und hielt sich ihren Kopf und versuchte nicht an Lum zu denken. Wieso hatte sie ein fremdes Kind in ihr Zimmer gelassen? Lum war aufgestanden und setzte sich neben Max. »Ist echt nett hier. Hast . . . hast du Schmerzen?« Marcy sah in Lums schmutziges Gesicht, doch blieb erneut an ihren Augen hängen. Sie waren so dunkel und tief; so bodenlos wie der Ozean. So leer und doch voller Antworten auf Fragen, die Marcy gar nicht zu stellen wusste. Marcy zeigte auf eine Tür. »Da ist ein Bad. Da kannst du dich waschen.«
© Edda Eggs 2024-11-09