Ohne Wenn und Aber hatte ich Louis am nĂ€chsten Morgen versprochen, noch eine Weile zu bleiben und ihn zu unterstĂŒtzen. Mein Zimmer war im zweiten Stock, mit einem Doppelbett einer alten Holzkommode mit Spiegel, einem etwas wackeligen Pult und einem kleinen Schrank ausgestattet. Ein beinahe dĂŒster anmutendes Marienbild mit einem goldenen Rahmen hing ĂŒber dem Bett.
Louis war kein alter Mann, vielleicht um die fĂŒnfzig Jahre alt, aber er wirkte fahl und war von sehr hagerer Gestalt, so dass er auf mich bisweilen fast greisig wirkte. Mir gegenĂŒber blieb er stets freundlich und sehr charmant, aber wenn ihm etwas nicht gefiel, dann konnte er rasch wĂŒtend und auch laut und deutlich werden. Ich hörte bald, wie er mit der Putzfrau umsprang, als diese mit einer fadenscheinigen Ausrede am Tag nach meiner Anstellung wieder auftauchte. Zuerst blieb er ruhig, aber als sie ihm wiederholt widersprach wegen eines kaputten Staubsaugers, da wurde er richtig wĂŒtend und schrie:⯠âIch weiss, dass du den Staubsauger kaputt gemacht hast. Sonst saugt hier ja keiner.âŻâ Dann wurde er urplötzlich wieder ganz ruhig, lĂ€chelte dĂŒnnlippig und fĂŒgte an:⯠âAch ja, du saugst hier ja auch nicht.âŻâ Die Putzfrau drohte, ĂŒberhaupt nicht mehr putzen zu kommen, da drehte er sich auf dem Absatz um und verstob fĂŒr vier Stunden in seine Wohnung im ersten Stock.
Wie jeden Abend ab halb fĂŒnf half ich Louis beim Empfang der GĂ€ste. Seine BegrĂŒssungssĂ€tze konnte ich auswendig ââŻund zwar in Deutsch, Französisch, Englisch und Spanisch. Nur den Zusatz, dass alle Pilger dreckige Schweine seien, liess ich aus, wenn ich die Hausregeln selbst erklĂ€rte. Dann zeigte ich die Zimmer, die Gemeinschaftsbadezimmer und half beim Kochen. Wir servierten jeden Abend das gleiche Essen. Da selten jemand zwei NĂ€chte blieb – alle wollte die PyrenĂ€en so rasch wie möglich bezwingen – störte sich niemand daran â und da ich eher ein Gewohnheitsmensch bin, konnte ich mich damit arrangieren. Ich deckte den Tisch, zeigte den Pilgern die Waschmaschine, den GĂ€ste-KĂŒhlschrank und den WĂ€schetrockner. Irgendetwas gab es immer zu tun, so viele Menschen kamen und gingen, stellten Fragen und wollten erzĂ€hlen. Am Tisch stellte mich Louis als die beste HospitaliĂšre der Welt vor, eine Gastgeberin, wie er es sich nur wĂŒnschen könne. Er liess es aus, zu erwĂ€hnen, dass ich erst seit knapp eine Woche fĂŒr ihn arbeitete, und flirtete mit mir, als wĂ€re ich seine Geliebte. Ich verstand rasch, dass es sich dabei um eine Arat Show-Einlage handelte, die sich jeden Abend wiederholte. Meist wurden die GĂ€ste nach dem Essen rasch mĂŒde, und wenn sie mĂŒde waren, gingen sie ins Bett, wir rĂ€umten den Tisch ab, und deckten ihn fĂŒr den nĂ€chsten Morgen, dann las Louis eine Weile in der Bibel und ich surfte im Internet. Etwa um Mitternacht verabschiedete er sich, kĂŒsste mich auf beide Wangen oder auf die Stirn und zog sich in seine RĂ€umlichkeiten zurĂŒck. Ich löschte alle Lichter und stieg in mein Zimmer im zweiten Stock.
© Stefanie Portmann 2022-10-12