5. Ausfahrt im Kreisverkehr

Irene Werren

by Irene Werren

Story

Zugegeben, ich bin eine versierte Zugfahrerin und gleichzeitig eine unqualifizierte Beifahrerin, was das Kartenlesen betrifft – und überhaupt. Will man dem Resultat eines Testes Glauben schenken – “Sind Sie eine gute Beifahrerin?”-dann lautet die aussagekräftige Antwort: “Sie trifft man am liebsten im Zug an!”

Im Auto sagt uns neuerdings nicht mehr der Verstand, sondern Fräulein Naiv … äh … Navi, wo s lang geht.
Und das Ziel ist bekannt und eingegeben: Wir wollen nach Meran, ein bisschen südliches Flair genießen, ein bisschen fein essen, schlemmen, Neues entdecken.

Es geht los. Frl. Navi dirigiert uns gekonnt und höflich durch das Straßennetz. Im Fürstentum Liechtenstein nutzt sie unsere Unaufmerksamkeit aus und schickt uns das erste Mal in ein ausgeklügeltes Quartierstrassennetz und im Kreis herum, aus dem wir beinahe nicht mehr herausfinden.
Entschlossen ignorieren wir ihre Anweisungen, hören stattdessen auf unseren Verstand und halten Ausschau nach Straßenschildern. Frl. Navi schweigt beleidigt. Dann meldet sie sich wieder nach einem lautlosen Räuspern, hält sich aber zurück mit einem weiteren Schabernack.


Wir fahren zügig und freudig über den Reschenpass, aber mit einem riesigen Umweg von ungefähr 100 Km, weil es einen Unfall mit einem Lastwagen gegeben hatte.
Das gesetzte Ziel, zwischen 15 Uhr und 16 Uhr in unserem Hotel zu sein, vertschüsst sich zunehmend in der einsetzenden Dunkelheit.
Frl. Navi jagt uns in den Kreisverkehr und lotst uns zuverlässig bei der ersten, zweiten oder dritten Ausfahrt wieder hinaus. Und dann kommen wir nach Meran. Wir pausieren und geben die Hoteladresse via Sprachfunktion ein. Frl. Navi versteht nur Bahnhof, und so dirigiert sie uns da hin mit der Aufforderung:
“Bitte den Kreisverkehr mit der 5. Ausfahrt verlassen”.
Wir stutzen. Fünf Ausfahrten? Das hat sie noch nie erwähnt. Wir beginnen zu zählen … und bei der dritten zieht es uns magisch, weil irgendwie logisch aus dem verkehrten Kreis. Frl. Navi schweigt irritiert, meldet sich aber sogleich unbeirrt zu Wort: “Nach 300 Meter bitte rechts abbiegen in die Eisenbahnbrücke.”
Wir überqueren fassungslos das Brücklein. Nie und nimmer hätten wir dem schmalen Brückenweg entlangfahren können, sagt unser Verstand.
Es hilft alles nichts. Sie lotst uns immer wieder in diese Straße. Da steige ich aus und frage einen netten Taxichauffeur nach dem Weg. Seine lakonische Antwort:

“Erster Kreisverkehr dritte Ausfahrt, geradeaus … zweiter Kreisverkehr zweite Ausfahrt, bei der Gabelung nach links, dann rechts abbiegen.”
Ich bedanke mich überschwänglich und versuche mich an das Gesagte zu erinnern. Frl. Navi versöhnt sich mit uns und folgt schön brav unseren Anweisungen … und siehe da: “Nach 300 Meter haben Sie ihr Ziel erreicht.”

Wir atmen erleichtert auf. Frl. Navi auch.

© Irene Werren 2024-12-17

Genres
Humor & Satire
Moods
Inspirierend, Unbeschwert